Einschränkung der Medien

Der Kristallnacht-Twitterer („Vielleicht brauchen wir wieder einmal eine Kristallnacht … diesmal für Moscheen.“) wurde vom Bezirksgericht Uster am 19. Mai 2014 der Rassendiskriminierung für schuldig erklärt. Er wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 75 Tagessätzen à 120 Franken sowie zu einer Busse von 1’800 Franken verurteilt. Auf Antrag des Verurteilten wurde den Medienvertretern und Gerichtsberichtserstattern die Auflage erteilt, dessen Anonymität zu wahren. In einer allfälligen Berichtserstattung durften sie weder seinen Namen nennen, Fotos von ihm veröffentlichen sowie weder Alter, Wohnort, Arbeitgeber oder Adresse des Internetblogs publizieren. Eine Verletzung dieser Auflagen hätte eine Ordnungsbusse von 1’000 Franken zur Folge gehabt. 

Zwei Gerichtsberichtserstatter haben nun bis vor Bundesgericht geklagt (1B_169/2015), welches kürzlich sein Urteil gefällt hat. Das Urteil ist für Medienschaffende von grosser Bedeutung, da es sich mit der Medienfreiheit (Art. 17 BV) und Informationsfreiheit (Art. 16 BV) befasst. Der Autor fasst die Erwägungen des Gerichts zusammen, zeigt mögliche Auswirkungen des Urteils auf die Praxis und nimmt noch persönlich Stellung.

Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen und das Verbot, den Namen und das Alter des Beschuldigten zu publizieren, wurde aufgehoben. Hingegen wurde das Verbot, das Bild sowie den Wohnort, den Arbeitgeber und die Adresse des Internetblogs des Beschuldigten bekannt zu geben, aufrecht erhalten und die Beschwerde diesbezüglich abgewiesen.  

Rechtlicher Hintergrund: Grundrechte

Das Verbot des Einzelgerichts ist ein Eingriff in ein Grundrecht. Solche Einschränkungen brauchen eine gesetzliche Grundlage (Art. 36 BV). Handelt es sich um einen schwerwiegenden Eingriff, so braucht es als Grundlage ein formelles Gesetz (d.h. eine Verordnung reicht nicht, siehe Art. 36 Abs. 1 BV). Desweitern müssen Einschränkungen von Grundrechten im öffentlichen Interesse sein oder durch den Schutz von Grundrechten Dritten gerechtfertigt sein (Art. 36 Abs. 2 BV) sowie verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV).

Gerichtsberichterstatter

Gerichtsberichterstatter sind gesetzlich privilegierte Journalisten, welche gegenüber dem übrigen Prozesspublikum besser gestellt sind (Art. 70 Abs. 3 StPO). Da das Verbot jedoch das Publikum nicht betraf, handelt es sich um einen schweren Eingriff in die Medienfreiheit. Ein solcher Eingriff fällt beim Kristallnacht-Twitterer stärker ins Gewicht, da es sich bei ihm um eine (relative) Person der Zeitgeschichte handelt, welche sich Abstriche beim Persönlichkeitsschutz gefallen lassen muss (BGE 129 III 529 E. 4.3 S. 534). 

Eingriff bedarf gesetzliche Grundlage

Schwerer Eingriff

Beim Kristallnacht-Twitterer handelt es sich um einen Eingriff in die Medienfreiheit. Die StPO ist ein formelles Gesetz, welches Auflagen an Gerichtsberichterstatter zulässt, sofern jedoch die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, was nicht der Fall war (Art. 70 Abs. 3 StPO). Alternativ können nach dem Zürcher Gerichtsstandorganisationsgesetz (GOG) die Medien verpflichtet werden, eine vom Gericht angeordnete und formulierte Berichtigung zu ihrer Gerichtsberichterstattung zu veröffentlichen (§ 125 GOG). Dies ermöglicht jedoch kein Verbot im Vorfeld

Leichter Eingriff

Wird von einem leichten Eingriff ausgegangen, so reicht auch eine Verordnung als gesetzliche Grundlage. Die Akteneinsichtsverordnung (AEV) legt den Berichterstattenden die Pflicht auf, die Berichterstattung in sachlicher und angemessener Weise durchzuführen und auf die schutzwürdigen Interessen  der Prozessparteien Rücksicht zu nehmen (§ 11 Abs. 2 AEV). Ein Verstoss kann beim Obergericht gemeldet werden (§ 12 AEV) und kann im schweren Fall oder im Wiederholungsfall eine Verwarnung, Suspendierung oder Entzug der Zulassung (§ 125 GOG) zur Folge haben. 

Fazit

Der Einzelrichter war nicht für die Sanktion zuständig und als Sanktion wäre eine Busse auch nicht rechtmässig gewesen. Es handelt sich beim Fall um den Kristallnacht-Twitterer somit um einen unzulässigen Eingriff in die Medienfreiheit. 

Gerichtsberichtserstatter sind auch weiterhin nicht völlig frei in der Berichterstattung, sondern müssen auf die schutzwürdigen Interessen der Parteien angemessene Rücksicht nehmen. Ansonsten droht ihnen eine Zivilklage wegen Persönlichkeitsverletzung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Katalog an möglichen Sanktionen (zumindest in Zürich) abschliessend ist und nicht frei vom Gericht erweitert werden darf. 

Das Bundesgericht hat nach Ansicht des Autors korrekt geurteilt. Die Grundrechtsverletzung wurde schematisch analysiert und auf das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage eines solchen Eingriffs ist lehrbuchmässig eingegangen worden. Das Urteil ist nicht zu beanstanden

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