Verrechnung – systematische Darstellung

Die Verrechnung ist die Tilgung einer Schuld mittels „Opferung“ einer Forderung (BSK OR I, Peter, 2011, Vor Art. 120-126, N 1). Mit der Verrechnung soll vermieden werden, dass Geld hin- und hergeschoben wird. Obwohl zwei Parteien involviert sind, handelt es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft. Damit dieses ausgeführt werden kann, bedarf es folgender Voraussetzungen: Bestehende ForderungenErfüllbarkeit der Hauptforderung, Klagbarkeit und Fälligkeit der Verrechnungsforderung, Gegenseitigkeit der Forderungen, Gegenseitigkeit der Forderungenkeinen Ausschluss der Verrechnung sowie Verrechnungserklärung. Die Wirkungen einer Verrechnung betreffen die Tilgung, Zinsenlauf sowie das Faustpfand.  

Forderungen

Damit die Verrechnung geltend gemacht werden kann, braucht es auf beiden Seiten eine Forderung (BSK OR I, Peter, 2011, Art. 120 N 2). Eine Anwartschaft genügt daher nicht (bspw. Kaufrecht, BGE 105 III 4). 

Tilgung

Bereits getilgte Forderungen können nicht mehr verrechnet werden. Dies gilt selbst dann, wenn eine Forderung im Irrtum über die mögliche Verrechnung bereits getilgt wurde. (BSK OR I, Peter, 2011, Art. 120 N 2) 

Widerruf

Bereits abgegebene Verrechnungserklärungen können nicht mehr widerrufen werden (Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Von Thur/Escher, 1974, S. 206 f.).

Naturalobligation

Die Erfüllung einer Naturalobligation des Verrechnungsgegners kann nicht erzwungen werden (BSK OR I, Peter, 2011, Art. 120 N 3). Hingegen kann mit einer Naturalforderung des Verrechnungsgegners verrechnet werden (Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, 2008, N 3233).  

Einreden oder Einwendungen

Die zu verrechnende Forderung darf weder mit Bestandeseinwendungen, noch mit Einreden behaftet sein, die ein Leistungsverweigerungsrecht des Verrechnungsgegners begründen. Wird die Forderung nur zu Unrecht bestritten, so stört das hingegen nicht (Art. 120 Abs. 2 OR).  

Obwohl der Wortlaut von Art. 120 Abs. 1 OR von der Fälligkeit der Hauptforderung spricht, reicht es aus, wenn die Hauptforderung erfüllbar ist (BSK OR I, Peter, 2011, Art. 120 N 4). Dies wird damit begründet, dass der Verrechnende bereits vor Fälligkeit erfüllen darf (Art. 81 Abs. 1 OR). Eine Klagbarkeit wird daher nicht vorausgesetzt

Grundsatz

Die Verrechnungsforderung muss klagbar und fällig sein. (Art. 120 Abs. 1 OR)

Verjährung

Verjährte Verrechnungsforderungen sind verrechenbar, wenn sie zum Zeitpunkt, als sie erstmals verrechenbar waren, noch nicht verjährt waren (Art. 120 Abs. 3 OR). Die Verrechnung kann also rückwirkend geltend gemacht werden. (BGE 9C_566/2007)

Im Konkurs

Im Konkurs entfällt die Fälligkeitsvoraussetzung. (Art. 123 Abs. 1 OR)

Bestrittene Forderung

Die Verrechnungsforderung kann bestritten sein (Art. 120 Abs. 2 OR). Dies betrifft jedoch nur die Verrechnungserklärung. Damit die Verrechnungswirkung jedoch eintritt, muss die Einrede oder Einwendung gerichtlich abgewiesen worden sein (BGE 4A_601/2013). Im provisorischen Rechtsöffnungsverfahren reicht es daher aus, wenn die Verrechnungsforderung glaubhaft gemacht wird, um damit die provisorische Rechtsöffnung abzuwenden (Art. 82 SchKG). Bei der definitiven Rechtsöffnung bedarf es hingegen des Urkundenbeweises (Art. 81 SchKG). 

Grundsatz

Der Verrechnende muss Gläubiger der Verrechnungsforderung sowie Schuldner der Hauptforderung sein und die Verrechnungsgegnerin muss Schuldnerin der Verrechnungsforderung sowie Gläubiger der Hauptforderung sein. (Art. 120 Abs. 1 OR)

Bürgschaft

Der Bürge hat ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Hauptschuldner verrechnen kann (Art. 121 OR). Ihm selber steht das Verrechnungsrecht jedoch nicht zu (BGE 138 III 453). 

Vertrag zugunsten Dritter

Bei einem Vertrag zugunsten Dritter kann der Versprechende nicht seine Forderung gegen die Versprechensempfängerin mit der Forderung zugunsten des Dritten verrechnen, da ihm diese Leistung effektiv zukommen soll. (BGE 122 V 81)

Zession

Definition

Bei der Zession überträgt der alte Gläubiger (Zedent) dem neuen Gläubiger (Zessionar) eine Forderung gegenüber dem Schuldner. (Art. 164 ff. OR)

Grundsatz

Konnte der Schuldner gegenüber dem Zedenten die Verrechnung geltend machen, so kann er dies auch gegenüber dem Zessionar (Art. 169 Abs. 1 OR). Als Folge erlöschen beide Forderungen und der Zessionar kann gegenüber dem Zedenten Schadenersatz geltend machen (Art. 171 Abs. 1 OR).

Spätere Fälligkeit

War die Forderung zum Zeitpunkt der Notifikation des Schuldners noch nicht fällig, so kann er die Verrechnung trotzdem geltend machen, sofern seine Verrechnungsforderung vor der abgetretenen Forderung fällig wird (Art. 169 Abs. 2 OR).

Erwerb einer Verrechnungsforderung

Erfolgt der Erwerb einer Verrechnungsforderung durch den Schuldner vor der Notifikation der Zession, so steht ihm das Recht zur Verrechnung zur Verfügung, sofern seine Verrechnungsforderung vor der abgetretenen Forderung fällig wird (Art. 169 Abs. 1 OR und Art. 167 OR).

Drittpfandschuld

Bei Drittpfandverhältnissen besteht zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner die Hauptforderung und zwischen dem Gläubiger und dem Pfandschuldner ein Verwertungsanspruch. Der Pfandschuldner kann bei Drittpfandverhältnissen eine Forderung, die ihm gegen die Pfandgläubigerin zusteht, zur Verrechnung bringen. (Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Schwenzer, 2012, N 77.07) 

Typ

Die zu verrechnenden Forderungen müssen in Geldsummen definiert oder ihrem Gegenstand nach gleichartig sein. Daher können nur Leistungen über Gattungssachen und vertretbare Sachen verrechnet werden. (Art. 120 Abs. 1 OR)

Der Grund liegt darin, dass es dem Verrechnungsgegner zugemutet werden können muss, nicht die effektiv geschuldete Leistung, sondern nur die wertmässige Leistung zu erhalten (BSK OR I, Peter, 2011, Art. 120, N 10).

Rechtsgrund

Die zu verrechnenden Forderungen müssen nicht aus dem gleichen Rechtsverhältnis stammen. Es braucht daher auch keinen Konnex zwischen den Forderungen und auch nicht den gleichen Gerichtsstand

Höhe der Forderungen

Die Höhe der verrechneten Forderungen muss nicht deckungsgleich sein (Art. 124 Abs. 2 OR). Die Verrechnungsgegnerin kann sich daher nicht gegen eine solche Teilzahlung (siehe Art. 69 Abs. 1 OR) wehren, ausser dies wurde vertraglich vereinbart (Zürcher Kommentar, Aepli, 2011, Art. 124 N 112). 

Geldforderungen

Bei Geldschulden sind auch Forderungen mit unterschiedlichen Währungen verrechenbar, ausser es wurde eine Effektivklausel vereinbart. Die Umrechnung findet anschliessend zum Zeitpunkt des Zugangs der Verrechnungserklärung statt (Obligationenrecht – Allgemeiner und besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 7, Rz. 772). 

Durch Gesetz

Das Gesetz sieht Tatbestände vor (Art. 125 OR), bei denen die Verrechnung ausgeschlossen ist:

  • Rückgabeverpflichtungen oder Verpflichtungen zum Ersatz aufgrund von widerrechtlich entzogenen oder böswillig vorenthaltenen Sachen (Art. 125 Ziff. 1 OR), d.h.
    • Verrechnungsverbot von Spareinlagen von Banken;
    • Ausschluss der Verrechnung aufgrund von Treu und Glauben;
    • Alle Obligationen, die auf einer vorsätzlich unerlaubten Handlung beruhen.
  • Existenzsicherende Leistungen, die zum Unterhalt des Gläubigers und dessen Familie unbedingt erforderlich sind (Art. 125 Ziff. 2 OR), d.h.
    • Unterhaltsansprüche, oder
    • Lohnguthaben.
  • Forderungen des Gemeinwesens aus öffentlichem Recht (Art. 125 Ziff. 3 OR). Der Staat darf hingegen seine Forderungen gegenüber den Privaten jederzeit verrechnen (BGE 110 V 183 E. 2).

Durch Vertrag

Die Parteien dürfen vertraglich die Verrechnung ausschliessen (sog. Verzichtsvertrag nach Art. 126 OR). Der Verzicht kann entweder stillschweigend oder ausdrücklich erfolgen (BGE 5A_207/2007).

Beim Arbeitsvertrag (Art. 323b Abs. 2 OR), Mietvertrag (Art. 265 OR) und beim Pachtvertrag (Art. 294 OR) ist der Verrechnungsverzicht ausgeschlossen

Die Verrechnungserklärung (Art. 124 OR) ist ein Gestaltungsrecht und somit ist die Zustimmung des Gläubigers nicht notwendig. Der Schuldner muss dem Gläubiger ausdrücklich oder stillschweigend zu erkennen geben, dass er von seinem Recht auf Verrechnung Gebrauch macht. Dementsprechend muss der Schuldner die Verrechnungsforderung genau bezeichnen (BGE 4A_82/2009, E. 2), da ansonsten die am wenigsten gesicherten Forderung verrechnet wird (Art. 87 Abs. 3 OR). 

Tilgung

Durch die Verrechnung wird die Haupt- und Gegenforderung in der Höhe des niedrigeren Betrags getilgt (Art. 124 Abs. 2 OR). Es gilt zu beachten, dass die Nebenrechte nur erlöschen, wenn der ganze Forderungsbetrag getilgt wurde (Art. 114 Abs. 1 OR). Wird daher nur ein Teil der Forderung durch Verrechnung getilgt, so erlöschen die Nebenrechte in demselben Umfang, ausser es gelten besondere Bestimmungen wie über das Faustpfand, welches erst bei voller Befriedigung zurückzugeben ist (Art. 889 Abs. 2 ZGB), sowie das Retentionsrecht (Art. 895 ZGB) und der Eigentumsvorbehalt (Art. 715 ZGB).

Zeitpunkt des Erlöschens

Der Erlöschenszeitpunkt der Forderungen ist unabhängig vom Zeitpunkt der Erklärung der Verrechnung und wird auf den erstmals möglichen Termin zurückbezogen (Art. 124 Abs. 2 OR). Dies hat zur Folge, dass allfällige Verzugszinsen nachträglich verfallen und aufgrund des vertraglichen Rückforderungsanspruches zurückzuerstatten sind (BGE 4A_17/2013). 

Bei Rücktritt

Tritt der Gläubiger aufgrund eines Schuldnerverzugs vom Vertrag zurück (Art. 102 ff. OR), so kann der Schuldner dies nicht mittels Verrechnung rückgängig machen (BGE 119 II 241).

Die Verrechnung ist die Tilgung einer Schuld mittels „Opferung“ einer Forderung. Damit eine Verrechnung ausgeführt werden kann, bedarf es folgender Voraussetzungen: Bestehende ForderungenErfüllbarkeit der Hauptforderung, Klagbarkeit und Fälligkeit der Verrechnungsforderung, Gegenseitigkeit der Forderungen, Gegenseitigkeit der Forderungen, keinen Ausschluss der Verrechnung sowie Verrechnungserklärung. Die Wirkungen einer Verrechnung betreffen die Tilgung, Zinsenlauf sowie das Faustpfand. 

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