Vertragsverhandlungen

Die culpa in contrahendo bezeichnet die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Sie setzt Vertragsverhandlungen, ein schutzwürdiges Vertrauen, eine Pflichtverletzung, einen Schaden sowie den Kausalzusammenhang und ein Verschulden voraus. Die culpa in contrahendo wird angewandt, wenn die Vertragsverhandlungen in einem ungültigen Vertrag münden oder es nie zu einem Vertragsschluss kommt. Die Wirkungen richten sich teils nach vertraglichen und deliktischen Grundsätzen.

Das Bundesgericht weist die culpa in contrahendo der Vertrauenshaftung zu, wobei diese eine eigenständige Haftungsgrundlage zwischen Vertrag und Delikt darstellt (BGE 134 III 390 E. 4.3.2). Dogmatisch ist die culpa in contrahendo daher den quasivertraglichen Ansprüchen zuzuweisen. Obwohl noch kein Vertrag vorliegt, sind die vertraglichen Rechtsgrundsätze doch besser geeignet, das fragile Verhältnis in den Vertragsverhandlungen zu verstehen. 

Die Haftung aus culpa in contrahendo ist beschränkt auf die an den Vertragsverhandlungen beteiligten Parteien. Sind Dritte involviert, so ist eine Vertrauenshaftung zu prüfen, jedoch nie eine Haftung aus culpa in contrahendo

Die Vertragsverhandlungen und der damit verbundene rechtsgeschäftliche Kontakt muss bei der geschädigten Partei zu einem erhöhten Vertrauen geführt haben, damit eine Haftung aus culpa in contrahendo geprüft werden kann. Dieses Vertrauen durch den Geschädigten muss schutzwürdig gewesen sein, was dann nicht vorliegt, wenn der Geschädigte weiss oder wissen muss, dass entweder kein Vertrag oder kein gültiger Vertrag zustande kommen wird. (Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Koller, 2009, § 28 N 29) 

Grundsatz

Abgeleitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB) treffen beide Verhandlungspartner besondere Pflichten:

  • Pflicht zu ernsthaften Verhandlungen;
  • Aufklärungspflichten;
  • Pflicht zur Rücksichtnahme; sowie
  • Pflicht zum Schutz von vertragsfremden Gütern.

Ernsthafte Verhandlungen

Hintergrund

Jede Partei trägt das Risiko einer erfolglosen Verhandlung grundsätzlich selber. Dazu gehört, dass die aufgewendete Zeit oder Ressourcen grundsätzlich nicht entschädigungspflichtig sind, falls der angestrebte Vertrag nicht abgeschlossen wird. Dies liegt darin begründet, dass es jeder Verhandlungspartei offensteht, jederzeit die Verhandlungen abzubrechen, ausser es liegt noch eine bindende Offerte (Art. 3 OR) vor. 

Verstoss gegen Treu und Glauben

Da die Vertragspartner die Pflicht zu ernsthaften Verhandlungen trifft (BGE 4C.409/2005 E. 3.2), ist es nicht erlaubt, Vertragsverhandlungen aufzunehmen oder fortzusetzen, wenn eine der Vertragsparteien weiss, dass sie keinen Vertrag mit dem anderen Vertragspartner schliessen wird und diesen gleichzeitig in diesem Glauben um einen möglichen Vertragsschluss lässt (BGE 4C.381/2002 E. 5.1).

Verweigerung der Form

Hängt der Abschluss eines rechtskräftigen Vertrags nur noch von der Erfüllung der Formvorschriften ab und weigert sich ein Verhandlungspartner in treuwidriger Weise, diese Form einzuhalten und hätte dieser voraussehen können, dass seinem Verhandlungspartner daraus ein Schaden entsteht, so liegt ein Fall von culpa in contrahendo vor (BGE 4A_615/2010 E. 4.1.1). 

Aufklärungspflichten

Grundsatz

In der Schweiz gibt es keine generelle Aufklärungspflicht, die sich aus dem Vertragsrecht ableiten liesse. Im Zusammenhang mit Verhandlungsverhandlungen und dem daraus resultierenden besonderen Vertrauensverhältnis ergibt sich jedoch eine beschränkte Aufklärungspflicht, die sich auf erhebliche Tatsachen beschränkt, über die sich die Gegenpartei keine Kenntnis verschaffen konnte oder musste (BGE 125 III 86 E. 3c).

Umfang 

In welchem Umfang eine Aufklärungspflicht vorliegt, hängt vom Einzelfall ab, kann jedoch systematisch anhand folgender Kriterien eingeschätzt werden:

  • Art und Natur des zu schliessenden Vertrages;
  • Asymmetrie des Wissens zwischen den Parteien;
  • Absichten und Ziele der Parteien;
  • Art und Weise der Verhandlungen.

Irrtum

Unterliegt eine Vertragspartei einem Irrtum, so muss die Gegenseite diese nur über diesen Irrtum aufklären, wenn sie ihn erkennt. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Vertragsparteien gegenseitig dazu verpflichtet wären, nach Irrtümern der Gegenseite zu suchen, die diese bei gebotener Sorgfalt selber hätte erkennen können (BGE 102 II 81 E. 2). Irrt sich eine Partei jedoch aufgrund einer unabsichtlich falschen Auskunft der Gegenpartei, so hat diese eine erhöhte Aufklärungspflicht, sofern sie deren Irrtum erkennt (Culpa in contrahendo et liberté de rompre les négociations, Rouiller, in: Jusletter 10. Juli 2006, N 8).

Täuschungsverbot

Aus der culpa in contrahendo und der Aufklärungspflicht wird ein allgemeines Täuschungsverbot abgeleitet. Ein Willensmangel, der auf einer falschen Auskunft beruht, führt daher zu einer Haftung aus culpa in contrahendo. Erfolgte die falsche Auskunft jedoch mit Absicht, so liegt ein Fall einer absichtlichen Täuschung vor, sofern der Vertrag denn auch geschlossen wurde.

Pflicht zur Rücksichtsnahme

Verhandlungspartner sind im Zusammenhang mit der culpa in contrahendo zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet (Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 18 N 1547).

Schutz vertragsfremder Güter

Obwohl es bei der Haftung aus culpa in contrahendo primär um die Haftung bei reinen Vermögensschäden geht, sind jedoch auch Körper- oder Sachschäden miterfasst (Obligationenrecht Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, Bucher, 1988, 285). Dies hat den Vorteil, dass die Beweislastumkehr (bspw. aus Art. 97 OR) für die geschädigte Person vorteilhafter ist als die ausservertraglichen Anspruchsnormen (Art. 41 OR). 

Umfang 

Bei der Haftung aus culpa in contrahendo geht es um den Ersatz des Vertrauensinteresses, d.h. dem negativen Vertragsinteresse (BGer 4A_413/2013 E. 5.2). Der Geschädigte ist demnach so zu stellen, wie wenn er die Vertragsverhandlungen nie aufgenommen hätte, weshalb ihm die nutzlosen Aufwendungen zu ersetzen sind. Auf zeitlicher Ebene sind jedoch nur diejenigen Aufwendungen zu ersetzen, die nach Verletzung der Pflichten aus culpa in contrahendo angefallen sind. 

Weitere Schäden

Wo es der Billigkeit entspricht, kann der Richter auch den Ersatz desjenigen Schadens anordnen, der das Vertrauensinteresse übersteigt, d.h. bspw. der mittelbare Schaden (Art. 26 Abs. 2 OR

Grundsatz

Damit ein Schaden zu ersetzen ist, bedarf es des Kausalzusammenhanges. Dies bedeutet, dass zwischen der Ursache für den Schaden und dem Erfolg des Schadens eine Wechselwirkung besteht, die als Kausalzusammenhang bezeichnet wird. 

Natürlicher Kausalzusammenhang

Wäre der Schaden ohne die fragliche Schadensursache nicht eingetreten (sog. conditio sine qua non), so liegt ein natürlicher Kausalzusammenhang vor. Dies bedeutet, dass für die unerlaubte Handlung die potenzielle Schadensursache eine notwendige Bedingung für den Erfolg des Schadens darstellt (BGE 132 III 715 E. 2.2). Diese potenzielle Schadensursache muss jedoch weder alleine noch unmittelbar zum Schaden geführt haben (BGer 4A_307/2013 E. 2.1.2). Es reicht aus, wenn der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf diese Ursache zurückzuführen ist. Dies bedeutet, dass andere potenzielle Ursachen vernünftigerweise nicht ins Gewicht fallen (BGE 133 III 462 E. 4.4.2). 

Adäquater Kausalzusammenhang

Da jeder Schaden mehrere natürliche Ursachen hat, ist die Ersatzpflicht an die Adäquanzformel gekoppelt. Demnach ist ein Ereignis dann die adäquate Ursache eines Erfolges, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolgs also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE 129 V 177 E. 3.2.). Eine Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs durch den Schädiger ist nicht begriffsnotwendig (BGE 119 Ib 345 E. 5b).

Unterlassungen

Der hypothetische Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn den Schädiger eine Pflicht zur Abwendung des Schadens (BGE 4A_520/2007 E. 2.1) getroffen hätte (bspw. Aufklärungspflichten) und nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge der Schaden dadurch nicht eingetreten wäre (conditio cum qua non). 

Weiterführende Ausführungen

Weitere Ausführungen zum Kausalzusammenhang sind dem Artikel zur unerlaubten Handlung zu entnehmen. 

Umfang des Verschuldens

Herrschende Meinung

Bei der Verschuldenshaftung der culpa in contrahendo reicht es aus, wenn der Schuldner fahrlässig eine ihm obliegende Pflicht verletzt (BGE 105 II 75 E. 2a).

Abweichende Lehrmeinung

Es gibt Lehrmeinungen, die dem Schädiger eine Haftung unter Umständen auch ohne Verschulden aufbürden wollen, sofern dies durch gesteigerte Verkehrsinteressen oder die Schaffung einer Gefahrenlage gerechtfertigt sei, da diese eine erhöhte Sorgfaltspflicht begründen würden (Die Vertrauenshaftung im schweizerischen Schuldrecht, Loser, 2006, N 244). Dieser Meinung ist nicht zu folgen, da die Haftung der culpa in contrahendo auch zur Beweislastumkehr führt, was bei fehlender Voraussetzung eines Verschuldens zu stossenden Ergebnissen führen kann.

Beweislast

Aufgrund des quasivertraglichen Konstruktes wird die Beweislastumkehr aus dem Vertragsrecht angewendet (Art. 97 OR), wobei dem Schädiger der Exkulpationsbeweis offensteht (Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Furrer/Müller-Chen, 2012, Kap. 18 N 104). Kann der Schädiger daher beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft, so entfällt die Haftung aus culpa in contrahendo. 

Schadenersatz

Bei Vorliegen einer Haftung aus culpa in contrahendo muss der Schädiger das Vertrauensinteresse ersetzen. Ihm stehen jedoch die Herabsetzungsgründe (Art. 44 OR sowie Art. 99 Abs. 3 OR). Zu den Herabsetzungsgründen (Umstände, Selbstverschulden, Mitverschulden eines Dritten, Zufall, konstitutionelle Prädisposition, Einwilligung sowie Notlage) ist für detaillierte Ausführungen auf die unerlaubte Handlung (Schadenersatzbemessung) zu verweisen. 

Aufhebung des Vertrags

Das Vorliegen einer culpa in contrahendo führt nicht zu einer Aufhebung des Vertrags per se, obwohl der Geschädigte oftmals den Vertrag nicht oder nicht in der Form geschlossen hätte, wäre der Schädiger seiner Aufklärungspflicht nachgekommen. Um den Vertrag aufheben zu können, hat sich der Geschädigte bei Vorliegen von deren Voraussetzungen auf die Übervorteilung (Art. 21 OR), den Irrtum (Art. 23 OR) oder die absichtliche Täuschung (Art. 28 OR) zu berufen.

Verjährung

Da der Anspruch aus culpa in contrahendo ein quasivertraglicher Anspruch ist, spricht sich die Lehre für die Anwendung der vertragsrechtlichen Verjährungsfristen von Art. 127 OR aus. Das Bundesgericht widerspricht dieser Ansicht und geht von den deliktsrechtlichen Verjährungsvorschriften (Art. 60 Abs. 1 OR) aus, wonach die einjährige Verjährungsfrist Anwendung finden soll (BGE 134 III 390 E. 4.3.2). 

Hilfspersonen

Die Haftung für das Handeln der Hilfspersonen des Schädigers richtet sich nach der Hilfspersonenhaftung und nicht nach der Geschäftsherrenhaftung (BGE 108 II 419 E. 5). 

Konkurrenzen

Vertrag

Sobald ein Vertrag vorliegt, richten sich anschliessende allfällige Pflichtverletzungen nach Vertragsrecht (Art. 97 ff. OR). 

Ausservertragliche Ansprüche

Bestehen sowohl Ansprüche aus culpa in contrahendo und aus ausservertraglicher Natur, so liegt eine alternative Konkurrenz vor. Es gilt zu beachten, dass bei reinen Vermögensschäden die Berufung auf die unerlaubte Handlung (Art. 41 Abs. 1 OR) nur bei Verletzung einer Schutznorm möglich ist. Ein Verstoss gegen Treu und Glauben begründet noch keine Widerrechtlichkeit (BGE 121 III 350 E. 6b). 

Ein Unternehmensberater führte ein Sondierungsgespräch mit einem potenziellen Mandanten und erhielt in Folge dessen tiefere Kenntnisse über dessen Geschäftsgeheimnisse. Das Mandatsverhältnis kam in der Folge nicht zustande (kein Vertrag wurde geschlossen). Der Unternehmensberater benutzte diese Geschäftsgeheimnisse bei einem anderen Klienten, was dem ersten Unternehmen massiv schadete. Das erste Unternehmen hat einen Anspruch auf Schadenersatz aus culpa in contrahendo.

Die culpa in contrahendo ist ein quasivertraglicher Anspruch bei Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Bei Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten kann die culpa in contrahendo nicht angewendet werden. Sie setzt Vertragsverhandlungen, ein schutzwürdiges Vertrauen, eine Pflichtverletzung, einen Schaden sowie den Kausalzusammenhang und ein Verschulden (mind. Fahrlässigkeit) voraus. Der Anspruch aus culpa in contrahendo verjährt nach einem Jahr. Der Schadenersatz richtet sich nach dem negativen Vertragsinteresse

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