Verzweifelter Mann wartet

Wer Waren bestellt, ist oftmals auch darauf angewiesen, dass diese auch rechtzeitig eintreffen. Liefert der Schuldner jedoch trotz Aufforderungen nicht, so gilt es die Voraussetzungen zu prüfen, ob ein Schuldnerverzug vorliegt. Handelt es sich um einen solchen Schuldnerverzug, so profitiert der Gläubiger von verschiedenen gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen, wie dem Ersatz des Verspätungsschadens, dem Verzugszins oder der Haftung für den Zufall. Bei vollkommen zweiseitigen Verträgen stehen dem Gläubiger zudem noch verschiedene Wahlrechte offen, damit dieser zu seinem Recht kommt. Da der Schuldnerverzug mit dem Gläubigerverzug zusammen spielt, lohnt es sich, einen kleinen Exkurs zum Gläubigerverzug zu wagen. Desweiteren gilt es zu erwähnen, dass eine Ersatzvornahme nicht vom Verzug des Schuldners abhängt.

Grundsatz

Ein Schuldnerverzug braucht nicht durch den Schuldner verschuldet zu sein, damit dieser eintreten kann. Ob ein Verschulden vorliegt oder nicht, ist erst bei der Beurteilung der Rechtsfolgen relevant. Die Voraussetzungen für den Schuldnerverzug lauten wie folgt: 

  • Nichtleistung trotz Leistungsmöglichkeit
  • Fälligkeit der Forderung
  • Mahnung oder Verfalltag
  • Kein Leistungsverweigerungsrecht

Nichtleistung trotz Leistungsmöglichkeit

Könnte der Schuldner zwar leisten, tut es aber nicht, so liegt eine Nichtleistung trotz Leistungsmöglichkeit vor. Der häufigste Fall ist dabei die Nichtbezahlung einer Geldforderung, da es bei einer Geldforderung nicht darauf ankommt, ob der Schuldner das Geld wirklich hat oder nicht, denn es gilt der Grundsatz „Geld muss man haben“ (BSK OR I, 2o11, Wiegand, Art. 98 N 1 und N 6). Leistet der Schuldner daher eine Geldforderung nicht, so gerät er bei Vorliegen der anderen Voraussetzungen in den Schuldnerverzug und kann sich nicht auf eine Unmöglichkeit berufen.

Die subjektive Unmöglichkeit wird von der neueren Lehre als Schuldnerverzug betrachtet und nicht als Leistungsunmöglichkeit. Dieser Ansicht ist zu folgen, da es oftmals schwierig sein kann, den dauerhaften von der vorübergehenden subjektiven Unmöglichkeit abzugrenzen. Desweiteren begünstigen die Wahlmöglichkeiten den Gläubiger, was zu begrüssen ist.

Fälligkeit der Forderung

Die Fälligkeit einer Forderung bedeutet das Recht des Gläubigers, die Erfüllung zu verlangen. Es gilt die gesetzliche Vermutung, dass eine Schuld sofort fällig ist (Art. 75 OR), ausser eine Sondervorschrift definiert die Fälligkeit anderweitig. Dies gilt bspw. für den Mietzins, der Ende jeden Monats fällig wird (Art. 318 OR).

Mahnung oder Verfalltag

Grundsatz

Das Vorliegen einer fälligen Forderung berechtigen den Gläubiger lediglich, die Erfüllung der Forderung zu verlangen. Er kann daher eigentlich frei entscheiden, wann er von diesem Recht Gebrauch machen will. Die Folgen einer verspäteten Erfüllung treffen den Schuldner jedoch erst, wenn dieser durch den Gläubiger durch eine Mahnung in Verzug gesetzt wurde  (Art. 102 Abs. 1 OR). Bei Vorliegen eines verabredeten Verfalltages (oder einer Kündigung) erübrigt sich eine Mahnung.

Mahnung

Die Mahnung stellt eine unmissverständliche Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner dar, die versprochene Leistung zu erbringen (BGE 129 III 535 E. 3.2.2). Durch eine solche Mahnung wird der Schuldner mit der fälligen Forderung in Verzug gesetzt (Art. 102 Abs. 1 OR). Basierend auf dem Zugangsprinzip wird die Mahnung zum Zeitpunkt des Zuganges wirksam, ausser der Schuldner braucht Vorbereitungshandlungen, so dass der Verzug erst nach einer angemessenen Reaktionszeit eintritt (BSK OR I, Wiegand, 2011, Art. 102 N 8).

Eine Mahnung kann formfrei erfolgen und braucht nicht einmal das Wort „Mahnung“ zu erhalten. Die Mahnung muss jedoch unmissverständlich sein, weshalb das blosse Zustellen einer Rechnung (auch nicht mit einer Zahlungsfrist) nicht als Mahnung gilt. Mit welchem Wortlaut eine zugestellte Rechnung als Mahnung gilt, ist eine Auslegungsfrage, weshalb es sich als Gläubiger empfiehlt, besonders deutlich zu sein. 

Damit eine Mahnung ihre Wirkung des Schuldnerverzug erreichen kann, muss sie die zu erfüllende Forderung genau bezeichnen (Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 8 N 922). Daraus wird gefolgert, dass bei einer überschiessenden Mahnung (es wird mehr als geschuldet gefordert) die Mahnung als Ganzes ungültig ist, ausser der Schuldner kann erkennen, dass sich der Gläubiger lediglich im Umfang der Forderung geirrt hat. Es steht dem Gläubiger zudem frei, lediglich einen Teil der Forderung zu mahnen.

Verfalltag

Im Zusammenhang mit dem Verfalltag sind folgende Konstellationen von Belang:

  • Verfalltagsgeschäft;
  • Fixgeschäft;
  • Kündigung;
  • Leistungsverweigerung;
  • antizipierter Vertragsbruch;
  • unerlaubte Handlung

Beim Verfalltaggeschäft wird vertraglich festgelegt, an welchem Tag oder bis zu welchem Tag die Leistung zu erbringen ist. Nach Ablauf dieses Tages ist eine Mahnung überflüssig und der Schuldner im Schuldnerverzug. (Art. 102 Abs. 2 OR)

Bei einem relativen Fixgeschäft (qualifiziertes Verfalltagsgeschäft) darf der Schuldner nach Ablauf des vereinbarten Zeitpunkts nicht mehr leisten und fällt ohne Mahnung in den Schuldnerverzug. Beim absoluten Fixgeschäft ist die Leistung des Schuldners nach Ablauf des vereinbarten Zeitpunkts nicht mehr möglich, weshalb nicht ein Schuldnerverzug, sondern Unmöglichkeit vorliegt (Art. 97 OR).

Das Gesetz definiert den Kündigungstermin als Verfalltag, weshalb der Schuldner nach Ablauf des Tages, auf welchen der Gläubiger gekündigt hat, in den Schuldnerverzug gerät (Commentaire romand, Code des obligations I, Thévenoz, 2003, art. 102, N 30).

Zeigt der Schuldner durch sein Verhalten, dass er nicht gewillt ist, die geschuldete Leistung zu erbringen, so fällt er ohne Mahnung in den Schuldnerverzug (Art. 108 Abs. 1 OR). Besteht die Leistungsverweigerung bereits vor der Fälligkeit der Leistung, so liegt ein antizipierter Vertragsbruch vor, welcher ohne Mahnung den Schuldner am Tag der Fälligkeit in Verzug setzt.

Bei einer unerlaubten Handlung ist keine Mahnung notwendig, um den Schuldner in Verzug zu setzen.

Kein Leistungsverweigerungsrecht

Nicht erfüllter Vertrag

Bei zweiseitigen Verträgen, welche Zug um Zug zu erfüllen sind, kann der Schuldner seine Leistung zurückbehalten, wenn der Gläubiger dessen Leistung verlangt, ohne aber seine eigene Gegenleistung erfüllt oder angeboten (sog. Realoblation) zu haben (Art. 82 OR). Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags findet sowohl auf vollkommen zweiseitige Verträge (Art. 82 OR), unvollkommen zweiseitige Verträge (BGE 94 II 263 E. 3a) und auf das synallagmatische Rückabwicklungsverhältnis (BGE 114 II 152 E. 2c bb) Anwendung.

Unterliegt der Schuldner einer Vorleistungspflicht, so kann er sich nicht auf eine fehlende Realoblation des Gläubigers berufen. Eine Vorleistungspflicht ergibt sich meistens aus der Natur des Vertrages, wie dies bei Dauerschuldverhältnissen der Fall ist. Desweiteren kommen vertragliche Abreden, Gesetzesvorschriften oder Verkehrssitten in Betracht. Die Berufung auf die Vorleistungspflicht ist nicht zulässig, wenn klar ist, dass der nachleistungspflichtige Schuldner selber nicht erfüllen wird (Obligationenrecht Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, Bucher, 1988, 310).

Zahlungsunfähigkeit

Da durch eine mögliche Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers die Gegenleistung des Schuldners gefährdet ist und ihm nicht zugemutet werden kann, zu leisten und dabei zu wissen, dass er nichts dafür erhalten wird, gibt es die Einrede der Zahlungsunfähigkeit. Ist daher die Gegenseite bei einem vollkommen zweiseitigen Vertrag nachträglich zahlungsunfähig geworden, so kann die Gegenpartei die Einrede der Zahlungsunfähigkeit erheben (Art. 83 OR). Als zahlungsunfähig gilt, wer auf unbestimmte Zeit nicht über die notwendigen Mittel verfügt, um die Verbindlichkeit zu erfüllen (BGE 195 II 28 E. 1).

Die Einrede der Zahlungsunfähigkeit steht auch dann offen, wenn der Schuldner vorleistungspflichtig ist. Die Einrede steht jedoch dann nicht offen, wenn die Zahlungsunfähigkeit bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden hat. In einem solchen Fall kann sich der Schulder unter Umständen auf die absichtliche Täuschung oder Grundlagenirrtum berufen.

Der Gläubiger kann die Leistung des Schuldners verlangen, wenn er die Gegenforderung sichergestellt hat (Art. 83 Abs. 1 OR). Bis die Sicherstellung vorliegt, kann der Schuldner seine Leistung zurückhalten. Erfolgt gar keine Sicherstellung, so erhält der Schuldner ein Rücktrittsrecht (Art. 83 Abs. 2 OR).

Grundsatz

Bei Vorliegen aller Voraussetzungen fällt der Schuldner in Schuldnerverzug. Dem Gläubiger stehen daraufhin verschiedene Rechte (Art. 103 -109 OR) offen. Art. 103 OR wird als Grundnorm für die Rechtsfolgen beim Schuldnerverzug angesehen. Ist der Schuldner mit einer Geldforderung im Verzug, so kommen zusätzlich die Art. 104-106 OR zur Anwendung. Liegt ein vollkommen synallagmatischer Vertrag vor, so kommen zusätzlich Art. 107 -109 OR zur Anwendung.

Ersatz des Verspätungsschadens

Grundsatz

Bei Vorliegen eines Schuldnerverzugs haftet der Schuldner für den Schaden, der dem Gläubiger aus der verspäteten Leistung entsteht. Dieser Schadenersatzanspruch besteht im Sinne des positiven Vertragsinteresses des Gläubigers (Art. 103 Abs. 1 OR). Unter dem positiven Vertragsinteresse in Zusammenhang mit dem Schuldnerverzug ist bspw. der entgangene Gewinn, Kosten für Ersatzmieten oder Schadenersatz an Dritte (BGE 116 II 441 E. 2c) zu verstehen.

Rechtsnatur

Dieser Schadenersatzanspruch entsteht kumulativ zum Erfüllungsanspruch (Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 8 N 942). Aus diesem Grund steht dem Schuldner die Möglichkeit der Exkulpation zu, wenn dieser beweisen kann, dass ihn kein Verschulden am Schuldnerverzug trifft.

Geldforderungen

Art. 103 OR wird als Grundnorm für die Rechtsfolgen beim Schuldnerverzug angesehen. Ist der Schuldner mit einer Geldforderung im Verzug, so kommen zusätzlich die Art. 104-106 OR zur Anwendung. Dem Art. 106 Abs. 1 OR bei Geldschulden kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu. 

Haftung für den Zufall

Grundsatz

Grundsätzlich werden beide Parteien von der Leistungspflicht befreit, wenn die Leistung nachträglich unverschuldet unmöglich wird (Art. 119 OR), ausser es liegt eine andere Regelung vor (wie beim Kaufvertrag). Da der Schuldner beim Schuldnerverzug jedoch auch für den Zufall (= höhere Gewalt) haftet, haftet er auch für eine allfällige Leistungsunmöglichkeit (Art. 103 Abs. 1 OR). Es wird dann eine vom Schuldner zu verantwortende Unmöglichkeit angenommen (Art. 97 Abs. 1 OR). Eine Exkulpation für das Unmöglichwerden der Leistung entfällt (BSK OR I, Wiegand, 2011, Art. 103 N 9). Die Exkulpationsmöglichkeit bezieht sich nur auf den Zufall und nicht die Leistung selber.

Exkulpation

Der Schuldner kann sich von der Haftung befreien, wenn er nachweisen kann, dass der Schuldnerverzug ohne sein Verschulden eingetreten ist oder dass der Zufall, welcher die Leistungsunmöglichkeit ausgelöst hat, auch bei rechtzeitiger Erfüllung eingetreten wäre (Art. 103 Abs. 2 OR). Der Nachweis, dass die Leistung aufgrund eines anderen Zufalls betroffen gewesen wäre, reicht nicht aus (BSK OR I, Wiegand, 2011, Art. 103 N 11).

Abgrenzung zu Art. 185 OR

Liegt ein Fall von Art. 103 Abs. 1 OR vor, so hat der Schuldner den Schaden zu ersetzen, behält aber den Anspruch auf die Gegenleistung des Gläubigers. Liegt hingegen eine Unmöglichkeit aufgrund von Art. 185 Abs. 1 OR vor, so hat der Käufer den Schaden nicht zu ersetzen und muss weiterhin selber erfüllen, obwohl die Leistung des Verkäufers ausfällt.

Verzugszinsen

Höhe

Bei Vorliegen eines Schuldnerverzuges bei einer Geldschuld hat der Schuldner einen Verzugszins von 5% zu bezahlen (Art. 104 Abs. 1 OR). Der Verzugszins setzt dabei weder ein Verschulden am Schuldnerverzug noch einen Schaden des Gläubigers voraus (BGE 129 III 535 E. 3.1). 

Es ist den Parteien erlaubt, höhere Verzugszinsen zu vereinbaren (Art. 104 Abs. 2 OR). Desweiteren können im kaufmännischen Verkehr allfällige höhere Verzugszinsen gefordert werden (Art. 104 Abs. 3 OR)

Zinsen, Renten und Schenkungen

Ist der Schuldner im Schuldnerverzug mit Zinszahlungen, Entrichtung von Renten oder der Ausrichtung einer Schenkung, so beginnen die Verzugszinsen erst am Tag der Anhebung der Betreibung oder der gerichtlichen Klage zu laufen (Art. 105 Abs. 2 OR).

Zinseszins

Es ist nicht zulässig, vom Verzugszins nochmals Verzugszins (sog. Zinseszins) zu fordern (Art. 105 Abs. 3 OR). 

Wegfall von Haftungsmilderungen

Wurde der Schuldnerverzug durch den Schuldner verschuldet, so entfallen allfällig anwendbare Haftungsmilderungen (BSK OR I, Wiegand, 2011, Art. 103 N 8). 

Grundsatz

Verträge

Obwohl die Wahlrechte des Gläubigers aus Art. 107 -109 OR dem Gesetzeswortlaut nach nur in vollkommen zweiseitigen Verträgen offen stehen, darf sich ein Gläubiger auch darauf berufen, wenn er ein schutzwürdiges Interesse vorweisen kann. Ein solches schutzwürdiges Interesse wird beim Schuldnerverzug einer vertraglichen Hauptpflicht angenommen (Die Leistungsstörungen, Wiegand, recht 1984, 15 f.). 

Ablauf

Liegt bei einem vollkommen zweiseitigen Vertrag ein Schuldnerverzug vor, so kann nach erfolglosem Ablauf einer Nachfrist der Gläubiger entscheiden, ob er an der Leistung festhalten will oder darauf verzichtet. Verzichtet er auf die Leistung, so kann er auswählen, ob er Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder vom Vertrag zurücktreten will. 

Umfang

Die Wahlrechte stehen dem Gläubiger auch bei teilbaren Leistungen zu, sofern ein Teilverzug vorliegt. Handelt es sich um einen Sukzessivlieferungsvertrag, kann der Gläubiger vom gesamten Rahmenvertrag zurücktreten, wenn es als ausgeschlossen gilt, dass der Schuldner auch in Zukunft den Vertrag erfüllen wird (BGE 119 II 135 E. 3b).

Ansetzen einer Nachfrist

Grundsatz

Der Gläubiger ist verpflichtet, dem Schuldner eine angemessene Nachfrist zu setzen (Art. 107 Abs. 1 OR), bevor er die Wahlrechte ausüben kann. Innerhalb dieser Nachfrist muss es dem Schuldner möglich sein, zu erfüllen (BGE 103 II 102 E. 1b). Da angemessen ein dehnbarer Begriff ist, hat der Schuldner das Recht, sich gegen eine zu kurze Nachfrist zu beschweren (BGE 116 II 436 E. 2). Diese Beschwerde muss unverzüglich erfolgen, ansonsten die Nachfristansetzung als angemessen gilt.

Mahnung

Oftmals ist es zweckdienlich, die Ansetzung einer Nachfrist direkt mit der Mahnung zu verbinden (BGE 4C.216/2000 E. 2a).

Keine Nachfrist

Die Ansetzung einer Nachfrist ist nicht notwendig, wenn sie sich als sinnlos erweisen würde. Als sinnlos gilt die Ansetzung einer Nachfrist, wenn (Art. 108 OR):

  • das Verhalten des Schuldners die Nachfristansetzung als nutzlos erscheinen lässt;
  • die Leistung für den Gläubiger aufgrund des Verzugs nutzlos geworden ist;
  • ein relatives Fixgeschäft vorliegt.

1. Wahlrecht: Festhalten oder Verzicht auf Leistung

Grundsatz

Der Gläubiger kann mit dem 1. Wahlrecht im Schuldnerverzug wählen, ob

  • er an der Leistung festhalten will und nebst der Erfüllung den Ersatz des Verspätungsschadens geltend machen will, oder
  • auf die Leistung verzichtet und das 2. Wahlrecht geltend macht. (Art. 107 Abs. 2 OR)

Festhalten an der Leistung

Der Gläubiger kann an der Leistung festhalten und die Erfüllung verlangen (Art. 107 Abs. 2 OR). Desweiteren kann er den Verspätungsschaden geltend machen (Art. 103 Abs. 1 OR). Erfüllt der Schuldner auch weiterhin nicht, kann der Gläubiger ihm eine neue Nachfrist setzen und erhält dadurch wieder das 1. Wahlrecht (BGE 103 II 102 E. 1b).

Verzicht auf Leistung

Beschliesst der Gläubiger, auf die Leistung zu verzichten, so muss er dies dem Schuldner unverzüglich mitteilen (Art. 107 Abs. 2 OR). Der Zeitraum, in welcher die Mitteilung zu erfolgen hat, hängt von den gegenseitigen Interessen der Parteien ab, wobei dem Gläubiger eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird. 

Verzichtet der Gläubiger auf die Leistung, so muss er gleichzeitig dem Schuldner mitteilen, was seine weiteren Schritte (2. Wahlrecht) sind, da es dem Schuldner nicht zugemutet werden soll, über den weiteren Bestand der Forderung im Unklaren zu sein (Zürcher Kommentar OR, Oser, Schönenberger, Art. 107 N 34). Diese Mitteilung kann konkludent erfolgen, indem der Gläubiger bspw. direkt das 2. Wahlrecht ausübt.

Im Handelskauf gilt die Vermutung, dass der Käufer beim Schuldnerverzug auf die Leistung verzichtet (1. Wahlrecht) und Schadenersatz wegen Nichterfüllung (2. Wahlrecht) geltend macht (Art. 190 Abs. 1 OR). Da es sich um eine gesetzliche Vermutung handelt, kann der Gläubiger jedoch auch an der Leistung festhalten, sofern er dies dem Schuldner unverzüglich mitteilt (Art. 190 Abs. 2 OR).

2. Wahlrecht: Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder Rücktritt vom Vertrag

Grundsatz

Verzichtet der Gläubiger im Schuldnerverzug mit dem 1. Wahlrecht auf die Leistung, so kann er entweder Schadenersatz wegen Nichterfüllung geltend machen oder vom Vertrag zurücktreten. Der Vertragsrücktritt ist jedoch ausgeschlossen, wenn er bspw. rechtsmissbräuchlich wäre.

Schadenersatz wegen Nichterfüllung

Das 2. Wahlrecht im Schuldnerverzug gibt dem Gläubiger die Möglichkeit, das positive Vertragsinteresse geltend zu machen (Art. 107 Abs. 2 OR). Die ausgebliebene Leistung wird daher in einen Schadenersatzanspruch umgewandelt, weshalb es sich um einen Sekundäranspruch handelt. Dieser beinhaltet sowohl das positive Interesse wie auch den Verspätungsschaden.

Die Geltendmachung des Schadenersatz wegen Nichterfüllung setzt ein Verschulden voraus, welches vermutet wird. Kann sich der Schuldner jedoch exkulpieren, so geht ein Teil der Lehre, welcher zu folgen ist, davon aus, dass dem Gläubiger erneut das 2. Wahlrecht zusteht und der Gläubiger vom Vertrag zurücktreten kann.

Rücktritt vom Vertrag

Mit der Geltendmachung des (verschuldensunabhängigen) Rücktritts vom Vertrag wird ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis begründet (BGE 133 III 356 E. 3.2.1). Die Anwendung von Kondiktion und Vindikation ist somit ausgeschlossen (Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 8 N 962). 

Das vertragliche Rückabwicklungsverhältnis hat zur Folge, dass die Parteien keine weiteren Leistungen mehr erbringen müssen und bereits erbrachte Leistungen in natura zurückzuerstatten sind, damit der vorvertragliche Zustand wiederhergestellt wird. Keine Rückerstattung in natura, sondern Wertersatz ist geschuldet, falls dies nicht möglich wäre (bspw. Dienstleistungen) oder nicht angemessen wäre (bspw. unverhältnismässig hoher Aufwand). Bei Dauerschuldverhältnissen erhält der Gläubiger anstelle eines Rücktrittsrechts ein Kündigungsrecht ex nunc. Die Rückerstattung für bereits erbrachte Leistungen sind in solchen Konstellationen daher ausgeschlossen (BGE 123 III 124 E. 3b). 

Der Wert der Rückerstattung bemisst sich nach dem Wert zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. War die Leistung jedoch mangelhaft, so reduziert sich der Wertersatz. Der Gebrauch von erhaltenen Sachleistungen ist angemessen zu erstatten (analog Mietzins) und erhaltene Geldleistungen sind zu verzinsen. Die Verjährung richtet sich nach Art. 127 OR.

Der Gläubiger kann zudem das negative Vertragsinteresse (bspw. Kosten für Vertragsschluss) geltend machen, wenn dem Schuldner der Exkulpationsbeweis nicht gelingt (Art. 109 Abs. 2 OR).

3. Wahlrecht: Austausch- oder Differenztheorie

Grundsatz

Hat sich der Gläubiger beim Schuldnerverzug beim 2. Wahlrecht für den Schadenersatz wegen Nichterfüllung entschieden und liegt ein Verschulden des Schuldners vor, so kann der Gläubiger wählen, ob er nach der Austauschtheorie oder nach der Differenztheorie vorgehen will.

Austauschtheorie

Bei der Austauschtheorie hat der Gläubiger einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Schuldner, ist aber weiterhin zur Gegenleistung verpflichtet.

Differenztheorie

Bei der Differenztheorie hat der Gläubiger einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Schuldner und kann den Wert seiner Gegenleistung anrechnen lassen, weshalb der Schuldner lediglich die Differenz zu entrichten hat. 

Grundsatz

Das Recht auf Ersatzvornahme (Art. 98 Abs. 1 OR) ist unabhängig vom Vorliegen eines Schuldnerverzuges. Die Ersatzvornahme muss jedoch gerichtlich bewilligt werden (Art. 98 Abs. 1 OR), da sie weder eine Mahnung noch ein Verschulden des Schuldners voraussetzt.

Anwendbarkeit

Der Gläubiger kann die Kosten der Ersatzvornahme als Bestandteil des Schadenersatzes beim positiven Vertragsinteresse des 2. Wahlrechts geltend machen (Art. 107 Abs. 2 OR), weshalb die praktischen Anwendbarkeit der Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR eingeschränkt ist (BSK OR I, Wiegand, 2011, Art. 98 N 8), ausser ein Eingriff in die Rechtssphären des Schuldners wäre notwendig

Grundsatz

Den Gläubiger treffen oftmals Mitwirkungsobliegenheiten, wie bspw. Vorbereitungshandlungen oder die Annahme der gehörig angebotenen Leistung (Art. 91 OR). Tätigt der Gläubiger diese Mitwirkungshandlungen nicht, so gerät er in den Gläubigerverzug (Art. 91 OR).

Folgen

Grundsatz

Der Gläubigerverzug folgende Rechtsfolgen:

  • der Schuldnerverzug ist ausgeschlossen (BGE 4C.277/2005 E. 5);
  • ein bestehender Schuldnerverzug endet mit Beginn des Gläubigerverzugs (Commentaire romand, Code des obligations I, Thévenoz, 2003, art. 102 N 33)
  • der Gläubiger kann nicht die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (Art. 82 OR) geltend machen (BGE 4C.236/2002 E. 3);
  • der Gläubiger trägt die Gefahr des zufälligen Untergangs (Art. 103 Abs. 1 OR);
  • das Verschulden des Schuldners (Art. 99 Abs. 2 OR) wird milder beurteilt (BSK OR I, Bernet, 2011, Vor Art. 91-96 N 7).

Bei Sachleistungen

Bei Sachleistungen kann der Schuldner die hinterlegungsfähige Sache auf Gefahr und Kosten des Gläubigers hinterlegen (Art. 92 Abs. 1 OR). Nicht hinterlegungsfähige Sachen können öffentlich versteigert werden (Art. 93 Abs. 1 OR).

Andere Leistungen

Handelt es sich bei der geschuldeten Leistung um eine andere Leistung als um eine Sachleistung, so stehen dem Schuldner alle Rechte aus dem Schuldnerverzug (inkl. den Wahlrechten) zur Verfügung.

Bei Pflichtverletzungen

Obwohl die Mitwirkungshandlungen des Gläubigers normalerweise Obliegenheiten darstellen, können sie auch reguläre Pflichten sein. Dies gilt insb. dann, wenn der Schuldner ein erkennbares Interesse an der Annahme der Leistung hat. Diesfalls sind ebenfalls die Regeln zum Schuldnerverzug anzuwenden.

Vollkommen zweiseitige Verträge

Handelt es sich um Verträge, welche Zug um Zug zu erfüllen sind, so gerät der Gläubiger bei der Verweigerung der Annahme der gehörig angebotenen Leistung selber in Schuldnerverzug, da er seine eigene Leistung nicht erbringt, obwohl er müsste (Commentaire romand, Code des obligations I, Loertscher, 2003, art. 91 N 4). Der Schuldner kann deshalb frei wählen, ob er den Schuldnerverzug oder den Gläubigerverzug geltend machen will (BGE 48 II 98 E. 6). Für die Praxis bedeutet dies, dass der Gläubigerverzug primär für den vorleistungspflichtigen Schuldner von Belang ist.

Klaus bestellt bei der Konditorei einen grossen Kuchen für seinen Geburtstag, welchen er am Samstag feiert. Es wird daher vereinbart, dass der Kuchen am Samstag bereit steht. Da der Konditor Maximilian jedoch krank wird, kann er den Kuchen nicht fertigstellen. Das Max krank geworden ist, handelt es sich um eine subjektive Unmöglichkeit. Die subjektive Leistungsunmöglichkeit ist ein Anwendungsfall für den Schuldnerverzug, weshalb seine Leistungspflicht nicht erlöscht (Art. 119 OR). Die Forderung ist am Samstag fällig, da es sich um ein relatives Fixgeschäft handelt. Eine Mahnung ist daher nicht notwendig und Max fällt in den Verzug. Auf das Ansetzen einer Nachfrist kann verzichtet werden, da die Leistung für Klaus nutzlos geworden ist. Mit dem 1. Wahlrecht beschliesst er daher, auf die Leistung zu verzichten und mit dem 2. Wahlrecht beschliesst er, vom Vertrag zurückzutreten. Hat er den Kaufpreis im Voraus bezahlt, so leitet sich sein Rücktrittsrecht aus Art. 214 OR ab.

Da Klaus den Kuchen dringend benötigt, beschliesst er, den Kuchen bei einem anderen Konditor zu kaufen und die Kosten der Ersatzvornahme (Art. 98 OR) an Max zu überbinden. Da dies jedoch die gerichtliche Bewilligung braucht, ist es für Klaus besser, wenn er bei der Ausübung des 2. Wahlrechts den Schadenersatz wegen Nichterfüllung geltend macht, da dieser auch die notwendigen Ersatzanschaffungen umfasst. Da sich Klaus für den Schadenersatz wegen Nichterfüllung entschliessen sollte, ist ihm anzuraten, beim 3. Wahlrecht nach der Differenztheorie vorzugehen. 

Die Voraussetzungen für den Schuldnerverzug sind die Nichtleistung trotz Leistungsmöglichkeit, Fälligkeit der Forderung, Mahnung oder Verfalltag sowie kein Leistungsverweigerungsrecht. Liegt ein Schuldnerverzug vor, so stehen dem Gläubiger unter Umständen gewisse Rechte zu. Diese sind der Ersatz des Verspätungsschadens, Haftung für den Zufall, Verzugszinsen sowie Wegfall von Haftungsmilderungen. Bei vollkommen zweiseitigen Verträgen kann der Gläubiger zudem die Wahlrechte geltend machen, die ihm u.a. den Vertragsrücktritt ermöglichen. Der Gläubiger kann zudem ebenfalls in den Schuldnerverzug fallen, falls es sich bspw. um einen Vertrag handelt, der Zug um Zug zu erfüllen ist. 

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