Starke Hände

Unter der Solidarhaftung wird verstanden, dass mehrere Schuldner gemeinsam haften, wobei der Gläubiger gegen jeden Einzelnen die Erfüllung der gesamten Schuld verlangen kann. Der gesamte Schaden darf aber nur einmal vergütet werden, weswegen ein Bereicherungsverbot des Gläubigers vorliegt. Bei der Solidarität wird zwischen der Haftung im Aussenverhältnis und dem Rückgriff (Regress) im Innenverhältnis unterschieden. Hierbei kommt es auf den Rechtsgrund der Solidarität an. Es wird daher zwischen echter Solidarität und unechter Solidarität unterschieden. Es kann vorkommen, dass einzelne Schädiger einen persönlichen Herabsetzungsgrund geltend machen könnten, wobei dies im Falle der Solidarhaftung nicht so einfach ist. Eine Verjährungsunterbrechung ist nur bei echter Solidarität möglich. Im Zusammenspiel mit Versicherungen stellt sich zudem die Frage nach dem Quotenvorrecht. Schlussendlich wird noch die Frage aufgeworfen, wie die Solidarhaftung bei internationalen Verhältnissen aus Schweizer Sicht zu beurteilen sei.

Hintergrund

Wenn mehrere Personen den Schaden gemeinsam verschuldet haben, so haften sie dem Geschädigten aufgrund der Solidarhaftung solidarisch (Art. 50 Abs. 1 OR). 

Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch. (Art. 50 Abs. 1 OR)

Aussenverhältnis

Voraussetzungen

Die Solidarhaftung bei der echten Solidarität besteht im Aussenverhältnis unter folgenden Voraussetzungen:

  • gemeinsame Schadensverursachung;
  • gemeinsames Verschulden;
  • Eigenschaft als Täter.

Gemeinsame Verursachung

Erscheint das Verhalten mehrerer Personen als adäquate Teil- oder Gesamtursache des Schadens, so gilt der Schaden als gemeinsam verursacht (Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Rey, 2008, N 1428). Es wird das Zusammenwirken mehrerer Personen verlangt. Sobald der weitere Schädiger um das pflichtwidrige Verhalten des anderen Schädigers wusste oder hätte wissen können, so nimmt das Bundesgericht (BGE 115 II 42) bereits ein bewusstes Zusammenwirken an (Begriff der Teilnahme nach Art. 50 OR, Küttel, 2008, 326). Die Beteiligten müssen sich jedoch nicht gemeinsam verabredet haben, sondern es reicht, wenn ihre Handlungen oder Unterlassungen dazu geeignet sind, den später eingetretenen Schaden herbeizuführen (BGE 71 II 107). Ein solches Zusammenwirken wird nicht angenommen, wenn die Handlung eines Einzelnen bereits den Erfolg alleine hervorgerufen hätte (Zürcher Kommentar, Oser/Schönenberger, N 3). Es wird somit ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der gemeinsam verschuldeten Ursache und dem eingetretenen Schaden vorausgesetzt (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, ARt. 50 N 5). Im Speziellen ist es bei gemeinsam geschaffener Gefahr irrelevant, welche der beteiligten Personen die eigentliche Schadensursache gesetzt hat (BGE 104 II 184: Spiel mehrere Schüler mit Pfeilbogen).

Tätereigenschaft

Gemeinsames Verschulden

Nach bundersgerichterlicher Rechtsprechung wird für die Solidarhaftung in der echten Solidarität ein gemeinsames Verschulden vorausgesetzt (BGE 115 II 42). Wenn die Täter bei der Verursachung des Schadens bewusst zusammenwirken, so wird ein gemeinsames Verschulden angenommen (Obligationenrecht Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 24 N 2007). Bereits Fahrlässigkeit reicht aus, weshalb auch Eventualvorsatz und Absicht miterfasst sind (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 50 N 7).

Als Täter kommen Anstifter, Gehilfen oder Urheber in Betracht. Diese Beteiligten müssen urteilsfähig sein sowie den Schaden absichtlich, eventualvorsätzlich oder fahrlässig begangen haben (BSK OR I, Heierli/Schnyder, Art. 50 N 7). Der Haupttäter, welcher den Schaden direkt verursacht, ist der Haupttäter (BGE 42 II 473 E. 3). Wer eine andere Person schuldhaft (mind. fahrlässig) zu einer objektiv rechtswidrigen Tat veranlasst, gilt als Anstifter (BGE 129 III 588 E. 4.1) Wer in einer untergeordneten Rolle die Handlung einer anderen Person fördert und dies mindestens fahrlässig geschieht, so handelt diese Person als Gehilfe (Berner Kommentar OR, Brehm, Art. 50 N 27).

Der Hehler wird im Gesetz bei der Solidarhaftung als Begünstigter bezeichnet. Dieser Begünstigte tritt erst nach Vollendung der Tat hinzu und sichert den bereits eingetretenen Erfolg. Er haftet jedoch nur für den Schaden, der durch seine Begünstigungshandlung entsteht (BGE 101 II 102). Eine Bereicherung kann daher bspw. nicht entstehen, wenn der Hehler etwas bloss hinterlegt, bei der keine Vermögensvermehrung eintritt (BGE 77 II 301). Der Hehler haftet in der Solidarhaftung nur beschränkt solidarisch mit den Vortätern und zwar in dem Umfang, als ihn eine persönliche beschränkte Ersatzpflicht trifft (Berner Kommentar, Brehm, N 73). Diese beschränkte Ersatzpflicht erstreckt sich auf den Teil des Gewinnes, den er empfangen hat oder durch seine nachträgliche Beteiligung Schaden verursacht hat (Art. 50 Abs. 3 OR).

Haftung

Die Solidarhaftung im Aussenverhältnis gilt für alle Beteiligten, wobei weder auf die Intensität oder das individuelle Verschulden abgestellt wird. Es spielt ebenfalls keine Rolle, welche Rolle (bspw. Gehilfe) der einzelne Täter eingenommen hat (Berner Kommentar, Brehm, N 22 ff.). Diese Attribute sind lediglich für die interne Abrechnung von Relevanz. Der Gläubiger kann sich dagegen bei der echten Solidarität an jeden einzelnen Schädiger in vollem Umfang richten. 

Innenverhältnis

Grundsatz

Bei der echten Solidarität endigt die Solidarität nicht durch in Inanspruchnahme eines Schuldners im Aussenverhältnis. Der Ersatzpflichtige kann aufgrund der Solidarhaftung den Schaden unter Umständen ganz oder teilweise auf die anderen Schädiger abwälzen (sog. Regress). 

Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt. (Art. 50 Abs. 2 OR)

Umfang des Rückgriffs

Obwohl es dem Richter obliegt, die endgültige Schadentragung festzulegen, hat er dies primär nach der Schwere des Verschuldens zu tun (Zürcher Kommentar, Oser/Schönenberger, N 10), weshalb dem Anstifter und dem unmittelbaren Täter im Innenverhältnis bspw. mehr aufgebürdet wird, als dem Gehilfen (Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/1, Oftinger/Stark, 1987, 104). Die persönlichen Einreden und Einwendungen, die im Aussenverhältnis noch nicht gehört werden konnten, können im Innenverhältnis eingebracht werden (Haftpflicht: ein Grundriss in Schemen und Tabellen, Keller/Schmied-Syz, 2001, 132).

Mehrere Regressverpflichtete

Der zahlende Ersatzpflichtige kann gegen eine Mehrheit von Regressverpflichteten nicht solidarisch, sondern anteilsmässig vorgehen, da die Solidarität nur im Aussenverhältnis besteht (Ausservertragliches Haftpflichtrecht, Rey, 2008, N 1506). Kann ein Betrag von einem weiteren Regressverpflichteten nicht eingetrieben werden, so haben diesen Betrag die Mitverpflichteten aufgrund der Solidarhaftung im Verhältnis des Regress zu tragen (Art. 148 Abs. 3 OR sowie Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Von Tuhr/Peter, 1979, 468).

Rechtsfolgen

Bei der echten Solidarschuld tritt der in Anspruch genommene Schuldner in die Rechte des befriedigten Gläubigers ein (Art. 149 Abs. 1 OR). Mit der Subrogation gehen auch die Nebenrechte über, weshalb bspw. auch das direkte Forderungsrecht gegen einen Haftpflichtversicherer übergeht (BGE 119 II 289). 

Hintergrund

Im Gegensatz zur echten Solidarität haften bei der unechten Solidarität mit der Solidarhaftung mehrere Personen aus unterschiedlichen Rechtsgründen (sog. mehrtypische unechte Solidarität). So kann bspw. ein Schädiger aus Gefährdenshaftung und ein anderer Schädiger aus Verschuldenshaftung haften.

Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet. (Art. 51 Abs. 1 OR)

Aussenverhältnis

Aus Sicht des Gläubigers liegt eine Anspruchskonkurrenz vor, falls bei der Solidarhaftung mehrere Personen aus unterschiedlichen Rechtsgründen haften. Jeder zum Schadenersatz Verpflichtete muss für den vollen Schadenersatz einstehen (BGE 130 III 591). Aus diesem Grund steht es dem Geschädigten offen, gegen welchen Schädiger er vorgehen will. 

Innenverhältnis

Grundsatz

Das Gesetz sieht folgende Kaskade der Solidarhaftung bei der unechten Solidarität vor (Art. 51 Abs. 2 OR):

  1. Personen aus Verschuldenshaftung,
  2. Personen, die aus Vertrag haftpflichtig sind,
  3. Personen, die aufgrund einer Gesetzesvorschrift haften (bspw. Kausalhaftung).

Verschuldenshaftung

Unter der Verschuldenshaftung werden im Zusammenhang mit der Solidarhaftung diejenigen Personen verstanden, die persönliches Verschulden trifft. Der Hauptanwendungsfall liegt bei den Haftpflichtigen nach Art. 41 ORWer jedoch für ein fremdes Verschulden einzutreten hat, der haftet aus Kausalhaftung (dritte Kategorie der Kaskade), ausser es trifft ihn zudem ein eigenes Verschulden (BGE 107 II 489).

Haftung aus Vertrag

Als Haftung aus Vertrag gilt die (schuldhafte) Vertragsverletzung (Art. 97 ff. OR), wie bspw. die Schlecht- oder Nichterfüllung. Aus diesem Grund fällt auch die Haftung für Hilfspersonen unter die Haftung aus Vertrag bei der Solidarhaftung. Desweiteren fallen quasi-vertragliche Ansprüche (bspw. Vertrauenshaftung) in die Kategorie der Haftung aus Vertrag. Ebenfalls unter die vertraglichen Ansprüche fallen der Garantievertrag, die Schadlosbürgschaft und der Versicherungsvertrag, die eine vertragliche Verpflichtung zur Schadensübernahme oder Schadensbehebung vorsehen (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51, N 16).

Konkurrieren bei der Solidarhaftung die vertraglichen Ansprüche mit Ansprüchen aus der Verschuldenshaftung, so geht die Verschuldenshaftung vor (BGE 120 II 58).

Gesetzliche Vorschrift

Unter die gesetzliche Haftung fallen die Haftungen, die weder aus Vertrag noch aus Verschulden herrühren. Dazu zählt primär die einfache Kausalhaftung sowie die Gefährdungshaftung. Liegt bei der Kausalhaftung jedoch ein Verschulden vor, so handelt es sich um einen Anwendungsfall der Verschuldenshaftung (erste Kategorie der Kaskade).

Abwicklung des Regresses

Bei der unechten Solidarität gibt es keine interne Solidarität. Will ein Solidarschuldner bei der Solidarhaftung Regress nehmen, so muss er deshalb alle anteilsmässig nach Bedeutung des persönlichen Verschuldens in Anspruch nehmen. Dies hat zur Folge, dass ein Kausalhaftpflichtiger nicht gegen einen Pflichtigen aus Vertrag vorgehen kann, solange solvente Pflichtige aus Verschuldenshaftung vorhanden sind. Kann ein Betrag von einem weiteren Regressverpflichteten nicht eingetrieben werden, so haben diesen Betrag die Mitverpflichteten im Verhältnis des Regress zu tragen (Art. 148 Abs. 3 OR sowie Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Von Tuhr/Peter, 1979, 468).

Konkurrenz von gleichen Haftungsarten

Liegen gleichartige Haftungen ohne gemeinsames Verschulden (wie bei der echten Solidarität) vor (sog. eintypische Solidarität), so ist der Regress nach Art. 51 Abs. 1 OR (i.V.m. Art. 50 Abs. 2 OR) trotzdem anzuwenden, obwohl dieser verschiedenartige Haftungen voraussetzt. Mit dem Regress soll eine gleichmässige Verteilung der Schadenersatzpflicht erfolgen.

Muss ein Haftpflichtiger aus Gefährdungshaftung für eine Betriebsgefahr einstehen, so muss dieser im Verhältnis zu den anderen Kausalhaftpflichtigen vorweg einen Teil des Schadens tragen, ausser ein anderer Kausalhaftpflichtiger trifft eine Schuld (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51 N 20).

Verjährung

Die Regressforderung unterliegt einer einjährigen relativen Verjährungsfrist, welche zu laufen beginnt, wenn die Solidarschuld beglichen ist und der zum Regress Berechtigte von der Möglichkeit zum Regress Kenntnis erhält. Die absolute 10-jährige Frist beginnt mit dem Abschluss des schädigenden Ereignisses (BGE 133 III 6 ff.). Da dies dazu führen kann, dass die Regressforderung bei ihrer Entstehung bereits verjährt ist, fordert die Lehre in Abweichung zum Bundesgericht, dass die absolute Verjährungsfrist erst mit der vollständigen Tilgung der Hauptforderung zu laufen beginnen soll (Regressprobleme bei Privilegierung eines Solidarschuldners, Jung in: FS Tercier, 2008, 302 f.).

Rechtsfolgen

Bei der unechten Solidarschuld tritt der in Anspruch genommene Schuldner nicht in die Rechte des befriedigten Gläubigers ein. 

Grundsatz

Die Solidarhaftung soll den Gläubiger stärken, weshalb in der Lehre umstritten ist, in welchem Umfang persönliche Herabsetzungsgründe im Aussenverhältnis geltend gemacht werden können. Es gilt insb. darauf hinzuweisen, dass diese Möglichkeit im internen Verhältnis der Solidarhaftung jederzeit möglich ist.

Echte Solidarität

Handelt es sich bei der Solidarhaftung um eine echte Solidarität, so sollten im Aussenverhältnis keine persönlichen Herabsetzungsgründe geltend gemacht werden dürfen (BGE 93 II 317 E. 2e), da sonst der Sinn der Solidarhaftung unterlaufen werden könnte (Obligationenrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, Huguenin, 2014, § 24 N 2025).

Unechte Solidarität

Handelt es sich bei der Solidarhaftung um eine unechte Solidarität, so lässt das Bundesgericht die persönlichen Herabsetzungsgründe (Art. 43 Abs. 1 OR) nur ausnahmsweise zu. Eine solche Ausnahme kann eine drohende Notlage (Art. 44 Abs. 2 OR) oder ein ausgeprägtes Missverhältnis zwischen Verschulden und Schaden sein, wobei eine Abweisung des Herabsetzungsgrundes als unbillig erscheinen würde (BGE 112 II 138 E. 4a). 

Die Verjährungsunterbrechung gegenüber einem Solidarschuldner wirkt nur bei der echten Solidarität gegenüber allen anderen Mitschuldnern (Art. 136 Abs. 1 OR). Bei der unechten Solidarität gibt es diese Wirkung gegenüber den Mitschuldnern nicht. (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51 N 12a)

Ausgangslage

Übernimmt eine Sozial- oder Privatversicherung den Schaden eines Haftpflichtigen gegenüber dem Geschädigten, so entsteht eine subrogierte Regressforderung der Versicherung gegenüber dem Haftpflichtigen. Wurde ein Schaden (Gesamtschaden) nicht komplett durch eine Versicherung gedeckt (Sozialversicherungsleistungen), so verbleibt dem Geschädigten ein Anspruch auf Schadenersatz gegenüber den Schädiger im Umfang der Restforderung (Direktschaden). 

Problemstellung

Ist der Gesamtschaden durch die Schadenersatzforderung abgedeckt, so liegen keine Probleme vor. Ist der vom Haftpflichtigen geschuldete Schadenersatz jedoch kleiner als der Gesamtschaden, so stellt sich die Frage, ob die Differenz zu Lasten des Versicherers oder des Geschädigten gehen soll. Dieser Fall kann insb. dann eintreten, wenn der Anspruch auf Schadenersatz durch Selbstverschulden (Art. 44 OR) reduziert wird und somit kleiner als der Gesamtschaden wird. Dasselbe Problem ergibt sich, wenn der Haftpflichtige aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit nicht den gesamten Schaden decken kann.

Quotenvorrecht

Das Quotenvorrecht beinhaltet zwei Aspekte:

  • Verteilungsvorrecht, sowie
  • Befriedigungsvorrecht.

Verteilungsvorrecht

Die Ansprüche der versicherten Person gehen in dem Umfang auf die Versicherung über, in dem die Versicherungsleistungen zusammen mit dem Ersatz des Dritten den Gesamtschaden übersteigen

Befriedigungsvorrecht

Die Ansprüche, die nicht auf die Versicherung übergehen, bleiben der versicherten Person gewahrt. Kann jedoch nur ein Teil des vom Dritten geschuldeten Ersatz eingebracht werden, so ist daraus zuerst die geschädigte Person zu entschädigen.

Beispiel 1

Der Motorradfahrer M wird vom Autofahrer A unverschuldet angefahren und erleidet einen Erwerbsunfall im Umfang von 15’000.-. Die Haftpflichtversicherung HV würde M 10’000.- bezahlen, da diese den Direktschaden vergütet. Die IV bezahlt 7’000.- als Sozialversicherungsleistungen. Basierend aus dem Verteilungsvorrecht kann die IV die Differenz von 2’000.- (10’000+7’000-15’000) gegenüber der HV zurückfordern. Somit erhält M 7’000.- von der IV und 8’000.- von der HV, womit sein gesamter Schaden von 15’000.- gedeckt ist.

Beispiel 2

Der Motorradfahrer M wird vom Autofahrer A mitverschuldet (1/3) angefahren und erleidet einen Erwerbsunfall im Umfang von 9’000.-. Die Schadenersatzforderung von M besteht daher im Umfang von 6’000.- (2 Drittel von 9’000.-). Die IV bezahlt dem M als Sozialversicherungsleistung einen Betrag von 7’000.-. M erhält von A den residualen Direktschaden von 2’000.- entschädigt. Der Regress-Anspruch der IV beläuft sich aufgrund des Befriedigungsvorrechts daher auf 4’000.- (6’000.- Schadenersatzanspruch minus 2’000.- bezahlter Direktschaden). Somit erhält M 9’000.- und M bezahlt 6’000.- sowie die IV 3’000.-. 

Quotenteilung

Kürzt die Sozialversicherung ebenfalls die Leistungen an den Geschädigten aufgrund von dessen Selbstverschulden, so gelangt in der Solidarhaftung die Quotenteilung zur Anwendung. Dies führt dazu, dass der Geschädigte denjenigen Teil des Schadens nicht ersetzt erhält, der auf die Kürzung der Sozialversicherungsleistungen entfällt.  

Aussenverhältnis

In internationalen Fällen ist das Schweizer Gericht am Handlungs- oder Erfolgsort, bzw. am Wohnsitz des Beklagten (Art. 129 IPRG), d.h. am Gerichtsort für unerlaubte Handlungen, zuständig (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51 N 26). das Die Rechtsfolgen unterstehen demjenigen Recht, welches das Rechtsverhältnis zwischen dem Gläubiger und den in Anspruch genommenen Schuldner beherrscht (Art. 143 IPRG). Dieses Recht bestimmt die Reihenfolge der Inanspruchnahme der Schuldner, sowie  die Art und Umfang der Haftung (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51 N 26). 

Innenverhältnis

Zulässigkeit

Die Zulässigkeit eines Rückgriffs in der Solidarhaftung zwischen den Schuldnern bestimmt sich nach dem Kumulationsstatut (Art. 144 Abs. 1 IPRG). Der Rückgriff ist demnach zulässig, wenn er in beiden Rechtsordnungen vorgesehen ist, d.h. sowohl im Forderungs- oder Deliktsstatut, als auch im Kausal- oder Versicherungsstatut (BSK OR I, Heierli/Schnyder, 2011, Art. 51 N 27). 

Durchführung

Die Durchführung untersteht dem Recht, dem die Schuld des Rückgriffsverpflichteten untersteht (Art. 144 Abs. 2 IPRG, d.h. Kausal- oder Versicherungsstatut). Dieses Recht regelt die Verjährung, Abtretbarkeit und Art und Weise des Rückgriffs (selbständiger Regress oder Subrogation). 

Der minderjährige Simon fährt zu schnell Ski und hat in grobfahrlässiger Weise Claudia angefahren, da er durch eine schlechte Pistenführung die Kontrolle über seine Ski verloren hatte. Für die Pistenführung war Tobias vom Seilbahnunternehmen Schönwiese zuständig. Hier handelt es sich um eine unechte Solidarität, da unterschiedliche Rechtsgründe vorliegen. Simon haftet aus Verschuldenshaftung, das Seilbahnunternehmen aus Vertrag (Skipisten sind eine Nebenpflicht) oder aus Geschäftsherrenhaftung und seine Eltern aus Kausalhaftung (Familienhaupthaftung nach Art. 333 ZGB). Claudia kann ihre Ansprüche gegenüber allen Parteien geltend machen, wobei diese im internen Verhältnis Rückgriff nehmen werden. 

Unter der Solidarhaftung wird verstanden, dass mehrere Schuldner gemeinsam haften, wobei der Gläubiger gegen jeden Einzelnen die Erfüllung der gesamten Schuld verlangen kann. Bei der Solidarität wird zwischen der Haftung im Aussenverhältnis und dem Rückgriff (Regress) im Innenverhältnis unterschieden. Hierbei kommt es auf den Rechtsgrund der Solidarität an. Es wird daher zwischen echter Solidarität und unechter Solidarität unterschieden.

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