Schatzkiste: was wird vererbt?

Der Erblasser ist im Schweizer Erbrecht weitestgehend frei, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen. Er hat dabei lediglich die Pflichtteilsansprüche der gesetzlichen Erben zu beachten. Werden diese Pflichtteile jedoch verletzt, so können die betroffenen Erben die Herabsetzungsklage erheben, damit diese wiederhergestellt werden. 

In einem ersten Schritt wird die Pflichtteilsberechnungsmasse berechnet. Dabei ist im Speziellen bei den lebzeitigen Zuwendungen, die nicht der Ausgleichung unterliegen, zwischen der objektiven und subjektiven Theorie zu unterscheiden. Die Bewertung der Zuwendung hängt von der Art der Zuwendung ab.

In einem zweiten Schritt erfolgt dann die eigentliche Herabsetzung. Hierbei ist auf die Reihenfolge und die Art und Weise der Herabsetzung zu achten. Das Verfahren ist entweder ein ordentliches oder ein vereinfachtes Verfahren, wobei der pflichtteilsverletzte Erbe eine Aktivlegitimation hat. Desweiteren gilt es die Spezialfälle der beschränkt dinglichen Rechte und Renten, die Nacherbeneinsetzung sowie die Gläubiger mit Verlustscheinen zu beachten.

Grundsatz

Der Anteil eines Erben an einem Nachlass berechnet sich in drei Stufen.

Reiner Nachlass

Der reine Nachlass (rNL) setzt sich aus den Nachlassaktiven (Art. 474 Abs. 1 ZGB) abzüglich Erbschaftsschulden (Art. 474 Abs. 2 ZGB) und Erbgangsschulden (Art. 474 Abs. 2 ZGB) zusammen.

Teilungsmasse

Zum reinen Nachlass werden in einem zweiten Schritt die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen hinzugerechnet (Art. 626 ZGB), woraus sich die Teilungsmasse (TM) ergibt.

Pflichtteilsberechnungsmasse

In einem dritten Schritt wird die Pflichtteilsberechnungsmasse (PTBM) berechnet. Dazu werden zur Teilungsmasse die herabsetzbaren Zuwendungen (Art. 475 ZGB und Art. 527 ZGB), der Rückkaufswert von Versicherungen (Art. 426 ZGB und Art. 529 ZGB) sowie die gesetzliche Beteiligung am Vorschlag bzw. Gesamtgut mittels Ehevertrag (Art. 216 Abs. 2 ZGB und Art. 241 Abs. 2 ZGB) hinzugerechnet. Resultieren daraus Pflichtteilsverletzungen, so können diese mittels Klage auf Herabsetzung geltend gemacht werden.

Grundsatz

Die Pflichtteilsberechnungsmasse (PTBM) ist eine rechnerische Grösse und umfasst sowohl Aktiven als auch Passiven. Anhand der PTBM kann festgestellt werden, ob Zuwendungen des Erblassers die Pflichtteile von Erben verletzen.

Aktiven

Zu den Aktiven, d.h. zu den Vermögenswerten, die zur Bestimmung der PTBM relevant sind, gehören:

  • Nachlassaktiven;
  • Lebzeitige Zuwendungen,
  • Rückkaufswert von Versicherungsleistungen zugunsten Dritter.

Nachlassaktiven

Zu den Nachlassaktiven gehören alle vererbbaren Vermögensobjekte, d.h. die beweglichen und unbeweglichen Sachen, Wertpapiere, Forderungen (Debitoren) sowie das Saldo aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung. (siehe auch: Praxiskommentar Erbrecht, Nertz, 2011, Art. 474 N 27 ff.)

Lebzeitige Zuwendungen

Die lebzeitigen Zuwendungen, die der Ausgleichung unterliegen, gehören zur Teilungsmasse (TM) und schliesst die Herabsetzung aus. Die Ausgleichung geht der Herabsetzung voraus, da keine Pflichtteilsverletzung resultieren kann, wenn die Zuwendung ausgeglichen wird. 

Es gibt lebzeitige Zuwendungen, die nicht der Ausgleichung unterliegen oder nicht zur Ausgleichung gelangen. Dies kann folgende Gründe haben:

Rückkaufswert von Versicherungen

Hat der Erblasser zugunsten Dritter Versicherungen abgeschlossen (bspw. Lebensversicherung), so fallen diese Leistungen nicht in die Erbmasse und müssen auch nicht ausgeglichen werden, unterliegen jedoch im Umfang ihres Rückkaufswertes der Herabsetzung. (Art. 529 ZGB)

Es gilt zu beachten, dass Leistungen der zweiten Säule weder in die Erbmasse fallen, noch der Herabsetzung unterliegen (BGE 129 III 305).

Passiven

Zu den Passiven zählen die Erblasserschulden und die Erbgangsschulden. 

Grundsatz

Es gibt lebzeitige Zuwendungen, die nicht der Ausgleichung unterliegen, weil bspw. der Erbe durch erblasserische Anordnung (Art. 527 Ziff. 1 ZGB) die Zuwendung nicht auszugleichen hat (BGE 126 III 171). Bei der erblasserischen Anordnung (Art. 527 Ziff. 1 ZGB) wird zwischen zwei Theorien unterschieden, wobei der objektiven Theorie (zu Recht) der Vorzug gegeben wird.

Objektive Theorie

Anrechnung an den Erbteil

Gemäss der objektiven Theorie (BGE 116 II 667 ff.) wird der Ausdruck „Anrechnung an den Erbteil“ (Art. 527 Ziff. 1 ZGB) unabhängig vom Willen des Erblassers betrachtet und umfasst alle Zuwendungen, die objektiv gesehen Ausstattungscharakter haben.

Nicht der Ausgleichung unterworfen

Nicht der Ausgleichung unterworfen“ umfasst daher alle Fälle, in denen der Empfänger der Zuwendung

  1. weder selber Erbe geworden ist (Ausschlagung (Art. 566 ff. ZGB), Erbunwürdigkeit (Art. 539 f. ZGB), Enterbung (Art. 477 ff. ZGB), Vorversterben (Art. 542 ZGB) oder Erbverzicht (Art. 495 f. ZGB)) und auch keiner an seine Stelle tritt (Eintrittsprinzip gemäss Art. 627 ZGB); oder
  2. der Erblasser eine Ausgleichungsdispens erlassen hat.

Subjektive Theorie

Anrechnung an den Erbteil

Gemäss der subjektiven Theorie umfasst der Ausdruck „Anrechnung an den Erbteil“ die vom Erblasser angeordnete Anrechnung (Art. 527 Ziff. 1 ZGB) oder die vom Gesetz vermutete Anrechnung (Art. 626 Abs. 2 ZGB).

Nicht der Ausgleichung unterworfen

Nicht der Ausgleichung unterworfen“ umfasst daher alle Fälle, in denen der Empfänger der Zuwendung weder selber Erbe geworden ist (Ausschlagung (Art. 566 ff. ZGB), Erbunwürdigkeit (Art. 539 f. ZGB), Enterbung (Art. 477 ff. ZGB), Vorversterben (Art. 542 ZGB) oder Erbverzicht (Art. 495 f. ZGB)) und auch keiner an seine Stelle tritt (Eintrittsprinzip gemäss Art. 627 ZGB).

Der Erblasser kann nach der subjektiven Theorie keine Ausgleichungsdispens erteilen, da die „Anrechnung an den Erbteil“ bereits eine Anordnung oder gesetzliche Vermutung voraussetzt. 

Konsequenz

Gemäss der objektiven Theorie kann der Erblasser zudem eine Ausgleichungsdispens erteilen, hingegen nach der subjektiven Theorie nicht.

Beispiel

Die alleinstehende Mutter schenkt ihrem Sohn 500’000.- zur Hochzeit und befreit ihn ausdrücklich von der Ausgleichungspflicht. Sie verstirbt einige Jahre später. Muss sich der Sohn eine Herabsetzung gefallen lassen?

Fall objektive Theorie subjektive Theorie
Mutter stirbt nach 2 Jahren;
Sohn nimmt Erbe an.

Art. 527 Ziff. 1 ZGB: Ja
Art. 527 Ziff. 3 ZGB: Ja

Art. 527 Ziff. 3 ZGB: Ja
Mutter stirbt nach 2 Jahren;
Sohn schlägt Erbe aus.
Art. 527 Ziff. 1 ZGB: Ja
Art. 527 Ziff. 3 ZGB: Ja
Art. 527 Ziff. 3 ZGB: Ja
Mutter stirbt nach 7 Jahren;
Sohn nimmt Erbe an.
Art. 527 Ziff. 1 ZGB: Ja Art. 527 Ziff. 4 ZGB: unter Umständen
Mutter stirbt nach 7 Jahren;
Sohn schlägt Erbe aus.
Art. 527 Ziff. 1 ZGB: Ja Art. 527 Ziff. 4 ZGB: unter Umständen

 

Grundsatz

Die Aktiven und Passiven des Erblassers werden zum Wert am Todestag des Erblassers zur Berechnung der Pflichtteile herangezogen. In diesem Zusammenhang spricht man vom Todestagsprinzip. (BGE 108 II 99)

Umfang der Rückerstattung

Der gutgläubige Empfänger einer Leistung ist nur im Umfang der noch bestehenden Bereicherung rückleistungspflichtig (Art. 528 Abs. 1 ZGB). Wer also bspw. in gutem Glauben mit dem erhaltenen Geld eine Weltreise tätigt, der ist nur im Umfang des verbliebenen Betrages rückleistungspflichtig. Hinweis: Zur Berechnung der Pflichtteile ist jedoch der ganze Betrag hinzuzurechnen.

Erbteilung

Die nachfolgende Erbteilung erfolgt hingegen zu den Verkehrswerten am Teilungstag (Art. 617 ZGB). Das in Art. 617 ZGB formulierte Prinzip gilt sowohl für Grundstücke, wie auch für alle anderen Aktiven und Passiven. An einem allfälligen Wertzuwachs partizipieren alle Erben gemäss ihrer Quote, die zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers festgelegt wurde. Dies gilt nicht, wenn der Wertzuwachs auf ein Vermögensgegenstand zurückzuführen ist, der mittels (Quoten-)Vermächtnis einem bestimmten Erben vermacht wurde.  

Grundsatz

In einer ersten Phase wird die Pflichtteilsberechnungsmasse berechnet und anschliessend der Pflichtteil des Klägers festgestellt. Wird der Pflichtteil nicht gedeckt, so muss die Quote festgelegt werden, um welche die Zuwendungen reduziert werden müssen, damit der Kläger auf seinen Pflichtteil kommt. Diese Quote wird dann mittels Herabsetzungsklage von den Passivlegitimierten eingefordert. Wer nicht alle Betroffenen einklagt, muss sich den Ausfall entgegenhalten lassen.

Fragestellungen

Bei der anschliessenden Herabsetzung wird unterschieden, wann die Zuwendung erfolgt ist, an wen sie erfolgt ist und was zugewendet wurde. Dies prädestiniert zum einen die Reihenfolge der Herabsetzung, der Umfang, als auch die Art und Weise der Herabsetzung.

Reihenfolge der Herabsetzung

Grundsatz

Die Reihenfolge der Herabsetzung ergibt sich in folgender Reihenfolge:

  1. Intestaterwerb, d.h. die Erbquote der gesetzlichen Erben (Art. 523 ZGB, dies ist allerdings umstritten)
  2. Verfügungen von Todes wegend.h. Testamente und Erbverträgeproportionale Herabsetzung des den Pflichtteil überschreitenden Teils, es sei denn, der Erblasser hat anders verfügt (Art. 525 Abs. 1 ZGB) oder es handelt sich um begünstigte Dritte, die gar keinen Pflichtteil haben)
  3. Verfügungen unter Lebenden (Art. 527 ZGB): die neueren Verfügungen vor den älteren Verfügungen, jedoch ohne gegenseitige Solidarität (Art. 532 ZGB)

Beispiel 1

Der Erblasser hinterlässt seine Ehefrau und ein Kind. Testamentarisch setzt er einen Dritten als Erben im Umfang von 3/8 (6/16) ein. Die Erbquote der Frau und des Kindes betragen je 1/2 des Rests des Nachlasses (5/16). Der Pflichtteil der Frau beträgt 25% (4/16), der des Kindes hingegen 37,5% (6/16). Der Pflichtteil des Kindes ist somit um 1/16 verletzt.

Da die Herabsetzung von Intestaterben umstritten ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie dieser Fall zu lösen ist:

  • Herabsetzung der Verfügung von Todes wegen gegen Dritten im Umfang von 1/16, oder
  • Herabsetzung des Intestaterwerbs der Ehefrau auf den Pflichtteil im Umfang von 1/16.

Beispiel 2

Der Erblasser hinterlässt vier Kinder und einen Nachlass von 100’000.-. Testamentarisch vermacht er Tochter A 40%, Sohn B 25%, Sohn C 25% und Sohn D 10%. Wie ist vorzugehen?

Der Pflichtteil von Kinder beträgt 75% ihrer Erbquote. Da sie nicht mit der vorverstorbenen Ehefrau zu teilen haben, beträgt ihre Erbquote je 25%. Der jeweilige Pflichtteil beträgt daher 18,75% und wurde bei Sohn D verletzt. Die Pflichtteilsverletzung im Umfang von 8,75%, d.h. 8’750.- hat Sohn D mittels proportionaler Herabsetzung des Intestaterwerbs gemäss den Quoten, die den jeweiligen Pflichtteil übersteigen, zu verlangen.

  • Tochter A: 40% – 18,75% = 21,25%
  • Sohn B: 25% – 18,75% = 6,25%
  • Sohn C: 25% – 12,5% = 6,25%

Das Verhältnis beträgt somit 3,4 : 1 : 1. Sohn D kann demnach von Tochter A rund 5’510.- und von B sowie C je rund 1’620.- verlangen. 

Beispiel 3

Der Erblasser hinterlässt zwei Kinder (A und B). Der Nachlass beträgt 200’000.-, wobei ein testamentarisches Vermächtnis an C im Umfang von 50’000.- und ein testamentarisches Vermächtnis an D im Umfang von 70’000.- vorliegt. Ein Jahr vor dem Tod des Erblassers hat dieser eine Schenkung an E im Umfang von 20’000.- ausgerichtet und 2 Jahre zuvor an F im Umfang von 35’000.-. Es ist davon auszugehen, dass keine Leistungen auszugleichen sind. Wie ist nun vorzugehen?

  • Nachlass: 200’000.- (beinhaltet auch die Vermächtnisse)
  • Teilungsmasse: 200’000.- (keine ausgleichungspflichtigen Leistungen)
  • Pflichtteilsberechnungsmasse: 295’000.- (200’000 + 60’000 + 35’000) 
  • Pflichtteile von A und B: je 37,5% (75% von 50%) von 295’000.-, d.h. 110’625.-
  • Verletzung der Pflichtteile: 21’250.- (2 x 110’625 – 200’000)
  • Herabsetzung
    1. Verfügung von Todes wegen (proportionale und gleichzeitige Herabsetzung): Da die Pflichtteile bereits die Summe des Nachlasses überschreiten, liegt keine verfügbare Quote vor, die der Erblasser an C und D vermachen könnte. Ihre Vermächtnisse sind vollumfänglich herabzusetzen.
    2. Verfügung unter Lebenden: Die lebzeitigen Verfügungen müssen insgesamt um 21’250.- herabgesetzt werden, da in diesem Umfang die Pflichtteile verletzt sind. Die jüngere Verfügung an E wird deshalb vollumfänglich um 20’000.- herabgesetzt und die ältere Verfügung an F im Restbetrag von 1’250.-.

Art und Weise der Herabsetzung

Grundsatz

Es sind dabei folgende Konstellationen zu untersuchen:

  • Quotenmässige Erbeinsetzung;
  • Zuwendung als Vermächtnis;
  • lebzeitige Zuwendung

Quotenmässige Erbeinsetzung

Der Erblasser kann einen Dritten als eingesetzen Erben bedenken und ihm eine Erbquote zuwenden. Übersteigt diese Erbquote die frei verfügbare Quote (Art. 470 ZGB), so resultieren daraus herabsetzbare Pflichtteilsverletzungen. Die Erbquote wird dementsprechend um die Herabsetzungsquote herabgesetzt. Im Umfang dieser neu berechneten und herabgesetzten Erbquote nimmt der eingesetzte regulär an den Wertveränderungen des Nachlasses teil, die zwischen dem Tod und der Teilung stattfinden können (BGE 80 II 200).

Zuwendung als Vermächtnis

Der Erblasser kann sowohl einem Dritten, als auch einem Erben ein Vermächtnis zuwenden (Art. 484 ZGB). Der Dritte erhält dadurch keine Erbenstellung (Art. 484 Abs. 1 ZGB). Bei Erben gilt die gesetzliche Vermutung, dass die Zuweisung einer Erbschaftssache als blosse Teilungsvorschrift gilt und nicht als Vermächtnis (Art. 608 Abs. 3 ZGB). 

Es wird unterschieden, ob die Erbschaftssache, die ein Vermächtnis darstellt, teilbar ist oder nicht.

Handelt es sich um eine teilbare Sache, so kann der Vermächtnisnehmer den über die Herabsetzungsquote hinausgehende Teil behalten.

Kann die Sache nicht geteilt werden, so muss dies der Vermächtnisnehmer beweisen (BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Art. 526 N 1). Gelingt ihm dieser Beweis, so kann er entscheiden (Art. 526 ZGB), ob er 

  • die Sache beansprucht und die Herabsetzungsquote dem Nachlass vergütet, oder
  • auf die Sache verzichtet und den verfügbaren Betrag beansprucht.

Zur Berechnung der Herabsetzungsquote und des verfügbaren Betrags wird gemäss herrschender Lehre auf den Zeitpunkt des Herabsetzungsurteils abgestellt (BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Art. 526 N 4). Die Mindermeinung überzeugt aus systematischer Sicht jedoch mehr, bei der auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers abgestellt wird (BSK ZGB II, Staehelin, 2011, Art. 457 N 7). 

Lebzeitige Zuwendung

Wendet der Erblasser einem Erben zu Lebzeiten eine Leistung zu, so geht das Bundesgericht davon aus, dass die Bestimmungen zum Vermächtnis (Art. 526 ZGB) nicht zur Anwendung kommen und die Herabsetzungsquote daher als Geldleistung zu vergüten ist. (BGE 110 II 228, BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Art. 528 N 6 sowie BSK ZGB II, Staehelin, 2011, Art 474 N 16) 

Gewisse Lehrmeinungen (Die erbrechtlichen Klagen, Brückner/Weibel, 2012, Rz. 68) gehen jedoch davon aus, dass eine Rückerstattung in natura möglich sein soll, insb. dann, wenn der Gegenstand noch vorhanden ist. Eine Unterscheidung zur Behandlung eines Vermächtnises ist nach eigener Ansicht nicht nachvollziehbar. In dieser Konstellation gilt es zu beachten, dass die Rückerstattungspflicht des gutgläubigen Empfängers begrenzt ist auf dessen Bereicherung zur Zeit des Erbganges (Art. 528 Abs. 1 ZGB). 

Aktivlegitimation

Grundsatz

Jeder pflichtteilsverletzte Erbe, welcher nicht gültig enterbt wurde, ist aktivlegitimiert zur Erhebung der Klage auf Herabsetzung (Art. 522 Abs. 1 ZGB). Wurden die Pflichtteile von mehreren Erben verletzt, so können diese auch gemeinsam vorgehen (BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Vor Art. 522-533 N 5).

Vorversterben

Stirbt der pflichtteilsverletzte Erbe nach Eröffnung des Erbgangs, so geht die Aktivlegitimation auf seine Erben über. Das Pflichtteilsrecht kann auch von den Erben des Vorerben gegenüber den Nacherben geltend gemacht werden (BGE 108 II 288).

Legalzession

Der Konkursverwaltung oder den Gläubigern des Pflichtteilserben, welcher die Herabsetzungsklage nicht selber geltend macht, obwohl ihm dafür eine Frist angesetzt wurde, steht ebenfalls ein Klagerecht zu. Es gilt zu beachten, dass diese nur im Umfang ihrer Forderungen klagen können, welche nicht deckungsgleich sein müssen mit dem Pflichtteil des Erben.

Weitere Aktivlegitimierte

Wer mit einer Zuwendung bedacht ist, kann gleichzeitig auch mit einem Vermächtnis beschwert sein. Wird seine Zuwendung herabgesetzt, so kann er im gleichen Umfang auch die Herabsetzung der Vermächtnisse verlangen. (Art. 525 Abs. 2 ZGB)

Überschreiten die auferlegten Vermächtnisse den Betrag der Erbschaft oder Zuwendung des Erben oder des Vermächtnisnehmers (mittels Untervermächtnis), so können diese die Herabsetzung verlangen. (Art. 486 ZGB)

Der Enterbte ist ein sog. virtueller Erbe und kann seine Erbenstellung mittels Herabsetzungsklage erstreiten, sofern er beweisen kann, dass die Voraussetzungen zur Enterbung nicht erfüllt sind. (Art. 477 ff. ZGB)

Passivlegitimation

Mit der Klage auf Herabsetzung werden die übermässig begünstigten Personen einzeln eingeklagt. Dazu zählen die Miterben, gesetzliche oder eingesetzte Erben sowie die Empfänger von lebzeitigen Zuwendungen und Vermächtnisnehmer. Es gilt zu beachten, dass sich die Klage nicht gegen die Erbengemeinschaft und auch nicht gegen den Willensvollstrecker richtet, sondern immer gegen die einzelnen Erben

Wer durch einen Erbvertrag bedacht ist und sich mit einer Herabsetzung konfrontiert sieht sowie dem Erblasser eine Gegenleistung für die Zuwendung im Erbvertrag zukommen liess, kann diese Gegenleistung einredeweise geltend machen. (Art. 528 Abs. 2 ZGB)

Wird durch eine Versicherung ein Dritter begünstigt, so richtet sich die Klage auf Herabsetzung gegen den begünstigten Dritten und nicht gegen die Versicherung. (BGE 131 III 646

 

Gerichtsstand

Die Herabsetzungsklage ist am letzten Wohnsitz des Erblassers anzuheben (Art. 28 Abs. 1 ZPO).

Fristen  

Grundsatz

Entgegen dem Wortlaut im Gesetz handelt es sich um die Fristen nach Art. 533 ZGB nicht um Verjährungsfristen, sondern um Verwirkungsfristen. Dies hat zur Folge, dass die Fristen von Amtes wegen zu beachten sind. 

Relative Frist

Die relative einjährige Frist beginnt mit der Kenntnis der Eröffnung des Erbgangs, der Berufung als Pflichtteilserbe sowie der Pflichtteilsverletzung. Die Kenntnis einer Pflichtverletzung muss nicht absolut sein, d.h. es reicht, wenn der Umfang nicht genau bekannt ist, da ein unbeziffertes Rechtsbegehren zulässig ist. Ein Kennenmüssen schadet dem pflichtteilsverletzten Erben hingegen nicht. 

Absolute Frist

Die absolute zehnjährige Frist unterscheidet zwischen letztwilligen Verfügungen (Testamente), Erbverträgen und Zuwendungen unter Lebenden. Bei letztwilligen Verfügungen beginnt die Frist mit deren amtlichen Eröffnung (Art. 533 Abs. 1 ZGB). Bei Erbverträgen ist sich die Lehre uneins. Die neuere Lehre stellt auf die amtliche Eröffnung ab (BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Art. 533 N 2) und die ältere Lehre stellt auf den Tod des Erblassers ab (bspw. Zürcher Kommentar, Escher, 1959, Art. 533 N 3). Bei Zuwendungen unter Lebenden wird auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers abgestellt.

Frühere Verfügung von Todes wegen

Ist durch Ungültigerklärung einer späteren Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) eine frühere gültig geworden, so beginnt die absolute und die relative Frist mit der Rechtskraft des Ungültigkeitsurteils. (Art. 533 Abs. 2 ZGB

Einrede

Mitbesitzer der Erbschaft können den Herabsetzungsanspruch einredeweise jederzeit geltend machen (Art. 533 Abs. 3 ZGB). Dies hat zur Folge, dass die Einrede nur denjenigen offensteht, die eine Erbenstellung haben oder zu Lebzeiten die Vermögensgegenstände erhalten haben.

Zeitpunkt

Wurde die Teilung der Erbschaft bereits vollzogen, so kann trotzdem weiterhin die Herabsetzungsklage geltend gemacht werden, ausser der Kläger hat der Teilung in Kenntnis der Verletzung seiner Ansprüche zugestimmt. (BGE 135 III 97

Verfahrensart

Es kommt das vereinfachte Verfahren (Art. 243 ff. ZPO) oder dasordentliche Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) zur Anwendung. Das summarische Verfahren auf Rechtsschutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO) kann aufgrund der Komplexität des Sachverhalts gar nicht zur Anwendung kommen.

Streitwert

Der massgebliche Streitwert ist potenzielle Prozessgewinn der klagenden Partei. Der Streitwert enspricht somit entweder seinem Pflichtteil oder dem Betrag, um welcher die Zuwendung des Beklagten herabgesetzt wird.

Rechtsbegehren

Mit der Klage auf Herabsetzung wird ein Gestaltungsurteil erzielt, welches die Verteilung des Nachlasses abweichend vom letzten Willen des Erblassers gestaltet. Ein reines Feststellungsurteil wird dem Kläger nicht den gewünschten Erfolg bringen, weshalb die Rechtsgestaltung im Rechtsbegehren zu verlangen ist.

Es seien die Zuwendung(en) an die [Person/Stiftung 1] und [Person/Stiftung 2] proportional auf denjenigen Bruchteil herabzusetzen, welcher dem Kläger seinen vollen Pflichtteil von [Höhe des Pflichtteils] am Nachlass verschafft.

Steht die Höhe der Zuwendungen nicht fest (bei Sachlegaten), so kann man die Bewertung des Sachlegats sowie die anschliessende Berechnung der Quoten dem Gericht übertragen. 

1. Es seien die Zuwendung(en) an die [Person/Stiftung 1] und [Person/Stiftung 2] proportional auf denjenigen Bruchteil herabzusetzen, welcher dem Kläger seinen vollen Pflichtteil von [Höhe des Pflichtteils] am Nachlass verschafft.
2. Der Teilungswert des Nachlasses sei festzustellen und mittels Bewertungsgutachten, wo notwendig, die Quoten am Gesamtnachlass festsetzen, um welche die Zuwendungen herabgesetzt werden müssen.

Die Herabsetzungsklage, die sich gegen Zuwendungen unter Lebenden richtet, hat Gestaltungswirkung und stellt gleichzeitig ein Leistungsurteil dar. Das Urteil verschafft dem Kläger einen obligatorischen Anspruch auf das Eigentum des Beklagten.

Verhältnis zur Ausgleichung

Bei Zuwendungen unter Lebenden empfiehlt sich die Kombination des Hauptbegehrens auf Ausgleichung mit dem Eventualbegehren auf Herabsetzung. Eine Ausgleichung bringt dem Kläger einen grösseren Vorteil, nämlich die Auffüllung seines vollen Erbteils, wo hingegen die Herabsetzungsklage dem Kläger nur die Auffüllung des Pflichtteils bringt. Dieses Vorgehen ist dann zu empfehlen, wenn nicht klar ist, ob die Zuwendung der Ausgleichung unterliegt. Wäre dem so, so ginge die Ausgleichung der Herabsetzung vor (BSK ZGB II, Forni/Piatti, 2011, Vor Art. 522-533 N 12). 

Inhalt

Der Erblasser kann seine Erbschaft mit Nutzniessungsansprüchen (Art. 745 ff. ZGB), Wohnrecht (Art. 776 ZGB), Dienstbarkeiten (Art. 781 ZGB) und Renten beschweren. (Art. 530 ZGB)

Berechnung von Kapitalwert

Die beschränkt dinglichen Rechte und Rente werden kapitalisiert, d.h. der Kapitalwert der Belastung ausgerechnet. Ist dieser höher, als der verfügbare Teil, so liegt eine Pflichtteilsverletzung vor. (Art. 470 ZGB)

Wahlrecht von Erben

Die pflichtteilsverletzten Erben haben nun die Wahlmöglichkeit zwischen der

  • verhältnismässigen Herabsetzung der Belastung, und
  • der Ablösung der Belastung durch Überlassung des verfügbaren Teils an den Bedachten. (Art. 530 ZGB)

Gemeinsame Nachkommen

Bei gemeinsamen Nachkommen hat der Erblasser jedoch die Möglichkeit, dem überlebenden Ehegatten die Nutzniessung an der ganzen Erbschaft, die den gemeinsamen Nachkommen zufallen würde, zuzuwenden. (Art. 473 Abs. 1 ZGB)

Diese Nutzniessung ersetzt infolgedessen den gesetzlichen Erbanspruch des überlebenden Ehegatten. Wird eine solche Nutzniessung gewählt, so definiert das Gesetz eine frei verfügbare Quote von 25%, die der Erblasser frei verteilen kann. (Art. 473 Abs. 2 ZGB)

Da durch dieses Vorgehen den Kindern nur das nackte Eigentum verbleiben kann, haben sie Anspruch auf denjenigen Teils des Eigentums, der ihre Pflichtteile durch die Nutzniessung verletzt hat, falls der überlebende Ehegatte sich wieder verheiratet. (Art. 473 Abs. 3 ZGB)

Grundsatz

Der Erblasser kann einen Erben verpflichten, einen Teil von dessen Erben an einen bestimmten Nacherben weiterzuvererben. Dies ist nur im Umfang zulässig, der den Pflichtteil überschreitet.  (Art. 531 ZGB

Personen

Mit der Nacherbeneinsetzung kann nur der eigene Erbe, jedoch nicht der Nacherbe selbst belastet werden. (Art. 531 ZGB

Beispiel

Der Erblasser hinterlässt eine Frau und eine Tochter. Der Erblasser verfügt mittels Testament, dass seine beide je hälftig erben sollen. Desweitern soll seine die Erbschaft, die an seine Ehefrau geht, bei ihrem Tod an die gemeinsame Tochter als Nacherbin weitergehen. Dies überschreitet jedoch den Pflichtteil der Ehefrau, weshalb sie die Herabsetzungsklage geltend machen kann.

Ausgangslage

Wer Schulden hat und sich mit einem möglichen Erbe konfrontiert sieht, kann versucht sein, dieses auszuschlagen, damit die Erbschaft nicht bei den Gläubigern landen. Das Gesetz sieht jedoch vor, dass dies nicht so einfach geht.

Voraussetzungen

Der Erblasser muss entweder seine Verfügungsfähigkeit (Art. 470 ZGB) zulasten des verschuldeten Erben überschritten (Art. 524 Abs. 1 ZGB), oder diesen ungültigerweise enterbt haben (Art. 524 Abs. 2 ZGB). Dem Erben stünde demnach das Recht zur Klage auf Herabsetzung zu, welches er aber trotz Aufforderung der Konkursverwaltung oder der Gläubiger mit Verlustscheinen nicht wahrnimmt

Konsequenz

Die Konkursverwaltung und die Gläubiger erhalten die Aktivlegitimation zur Anhebung der Herabsetzungsklage, soweit dies zur Deckung ihrer Forderungen notwendig ist.

Der Erblasser ist im Schweizer Erbrecht weitestgehend frei, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen. Er hat dabei lediglich die Pflichtteilsansprüche der gesetzlichen Erben zu beachten. Werden diese Pflichtteile jedoch verletzt, so können die betroffenen Erben die Herabsetzungsklage erheben, damit diese wiederhergestellt werden.

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Kommentare

  1. iusStud

    Ich habe mich bei „2. Schritt: Herabsetzung“ – Beispiel 2 nur gerade gefragt, ob es da in der Aufgabenstellung nicht „Vier“ anstatt „Drei“ Kinder heissen müsste und haben diese nicht jeweils einen Pflichtteil von 75% (3/4) ihrer gesetzlichen Quote (gem. ZGB 471 Ziff.1)?

    1. mmlexwiki.ch

      Vielen Dank für den Korrekturhinweis. Es handelt sich selbstverständlich um vier Kinder sowie um einen Pflichtteil von 75%. Ich habe die Zahlen entsprechend angepasst.
      Freundliche Grüsse, David

  2. hübscher Denise

    ich kann eine nicht-pflichtteilberechtigte person als universalerbin einsetzen. somit erbt die pflichtteilberechtigte nur, wenn sie innerhalb der vorgegebenen zeit klage einreicht. richtig? wenn 3 personen pflichtteilberechtigt sind, muss jede einzeln ihren pflichtteil einklagen. richtig? was passiert mit bankkonten, die eine zusätzliche person als bevollmächtigte haben? gehört dieses geld der bevollmächtigten oder geht es auch in die erbmasse?

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