Annahme oder Ablehnung?

Stellen Sie sich vor, Sie sind Erbe in einem Nachlass, welcher offensichtlich überschuldet ist. Wenn Sie die Erbschaft annehmen, werden Sie mit Ihrem gesamten Vermögen haftbar für die geerbten Schulden. Was werden Sie daher höchstwahrscheinlich tun? Sie verweigern die Annahme der Erbschaft, in der Terminologie des Gesetzes schlagen Sie diese aus. Das Gesetz kommt Ihnen in Art. 566 Abs. 2 ZGB noch entgegen: wird die Überschuldung des Nachlasses amtlich festgestellt oder ist sie offensichtlich, so wird die Ausschlagung eines überschuldeten Nachlasses vermutet.

Doch Achtung: nicht in jedem Fall ist die Ausschlagung eines überschuldeten Nachlasses die richtige Lösung!

Stellen wir uns folgende Ausgangslage vor: Die verwitwete Mutter mit zwei Töchtern und einem Sohn setzt die beiden Töchter testamentarisch als Alleinerben ein, den Sohn übergeht sie. Weiter überschreibt sie 15 Jahre vor ihrem Tod ihre Liegenschaft im Nettowert von CHF 1.4 Mio. auf die beiden Töchter im Sinne eines Erbvorbezugs. Bei Ihrem Tod ist ihr Nachlass mit CHF 200‘000 überschuldet. Beide Töchter schlagen die Erbschaft aus (bzw. nehmen sie infolge der vorgenannten gesetzlichen Vermutung nicht explizit an). Der Sohn ficht das Testament mittels Herabsetzungsklage an und macht seinen Pflichtteil geltend.

Wie beurteilt sich dieser Sachverhalt aus rechtlicher Sicht, was sind dabei insbesondere die Konsequenzen für die interessierte Leserin oder den interessierten Leser und zu welchem Schluss gelangt der Autor aus persönlicher Sicht? Erfahren Sie mehr!

Im Falle der Ausschlagung durch einen testamentarisch eingesetzten gesetzlichen Erben gelangt dessen Anteil an die anderen gesetzlichen Erben der Erblasserin, wie wenn er den Erbfall nicht erlebt hätte (Art. 572 Abs. 1 ZGB). Im vorliegenden Fall wäre dies der Sohn, welcher jedoch von seiner Mutter übergangen wurde und daher einzig seinen Pflichtteil geltend machen kann. Die Basis der Pflichtteilberechnung ist jedoch nicht der effektiv vorhandene Nachlass (minus CHF 200‘000), sondern die sogenannte Pflichtteilsberechnungsmasse (PTBM). Zum effektiven Nachlass sind demnach noch bestimmte lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin hinzuzurechnen (Art. 475 ZGB i.V.m. Art. 527 ZGB). Vorliegend die lebzeitige Schenkung der Liegenschaft an die beiden Töchter; denn obwohl sie vor mehr als 5 Jahren erfolgt ist, untersteht sie gemäss Art. 527 Ziff. 1 ZGB der Herabsetzung. Die Pflichtteilsberechnungsmasse beträgt im vorliegenden Fall somit CHF 1.2 Mio. (CHF 1.4 Mio. abzüglich Überschuldung CHF 200‘000) und der Pflichtteil des Sohnes (als einzigem Erben) beträgt ¾. Die beiden Schwestern müssen ihm somit je CHF 450‘000 herausgeben. Der Bruder hat somit am Schluss CHF 900‘000, die Schwestern je CHF 150‘000.

Hätten die beiden Schwestern die überschuldete Erbschaft (explizit) angenommen, wären sie deutlich besser davongekommen. Die Pflichtteilsberechnungsmasse hätte zwar ebenfalls CHF 1.2 Mio. betragen, der Pflichtteil des Bruders hätte sich jedoch nur auf ¼ belaufen (gesetzlicher Erbteil 1/3, Pflichtteil ¾ davon). Die Schwestern hätten ihm somit nur je CHF 150‘000 herausgeben müssen, womit sie je CHF 450‘000 hätten behalten können. Der Bruder hätte CHF 300‘000.

In jedem Erbfall können sich auch Geschehnisse auswirken, welche bereits viele Jahre zurückliegen und an die man sich bereits fast nicht mehr erinnern kann. Bevor der Entscheid gefällt wird, eine Erbschaft als (gesetzlicher oder eingesetzter) Erbe anzunehmen oder auszuschlagen, gilt es die tatsächliche und rechtliche Situation genau zu prüfen. Die Frist für die Annahme der Erbschaft bzw. deren Ausschlagung beträgt 3 Monate ab Kenntnis des Erbfalls bzw. der Verfügung (Art. 567 ZGB) oder ab Zustellung des Inventars (Art. 568 ZGB).

Die gesetzlichen Regeln über die Ausschlagung sind als „Wohltat“ für die Erben gedacht, welche ihnen die Möglichkeit gibt, eine ihr Vermögen belastende Erbschaft nicht antreten zu müssen. Auch die Vermutung der Ausschlagung eines überschuldeten Nachlasses (d.h. bei einer nachweislich überschuldeten Erbschaft) stellt eine solche Rechtswohltat dar. Das Zusammenspiel der Bestimmungen über die Ausschlagung ist jedoch komplex. Eine rechtliche Beratung in nicht alltäglichen Konstellationen ist in jedem Fall sinnvoll.

Die gesetzliche Vermutung der Ausschlagung für den Fall, dass eine amtlich festgestellte oder offensichtliche Zahlungsunfähigkeit der Erblasserin besteht, kann für die Erben in gewissen Konstellationen zu äusserst unangenehmen Konsequenzen führen. Wurde beispielsweises ein Erbvorbezug im Inventar nicht aufgeführt (oder nur als „pro memoria“ erwähnt, aber nicht eingerechnet), so tun die betreffenden Erben gegebenenfalls gut daran, die auf den ersten Blick „überschuldete“ Erbschaft explizit anzunehmen. Andernfalls könnte die infolge Ausschlagung veränderte Berechnung der Pflichtteile unangenehme Folgen zeitigen.

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