Ladendiebstahl

Das Strafbefehlsverfahren bezweckt eine prozessökonomische, d. h. effiziente Verfahrenserledigung im Bereich der Massen- und Bagatelldelikte (Strassenverkehr, Betäubungsmittel usw.). Es sollen damit aufwendigere Verfahren verhindert werden, falls der Sachverhalt weitgehend klar ist und die Strafe eine bestimmte Höhe nicht überschreitet. Zudem können die Strafen mit Massnahmen verbunden werden. Der Strafbefehl wird zudem von der Staatsanwaltschaft und nicht vom Gericht ausgefällt.

Lediglich im Falle einer Einsprache gegen den Strafbefehl und einer anschliessenden Überweisung des Verfahrens an das Gericht wird sich ein Richter mit der Sache befassen. Ein Rückzug ist bis zum Ende der Parteivorträge möglich. Ein Strafbefehl ist folglich eine Art „Urteilsvorschlag“, der ohne Einsprache zum rechtskräftigen Urteil wird. In der Praxis werden rund 90% aller Strafverfahren, welche nicht eingestellt werden, mit Erlass eines Strafbefehls erledigt. Das Strafbefehlsverfahren ist in der Praxis also von grosser Bedeutung.

Damit das Strafbefehlsverfahren überhaupt durchgeführt werden kann, muss der Sachverhalt von der beschuldigten Person eingestanden oder anderweitig ausreichend geklärt sein (Art. 352 Abs. 1 StPO). Ein Geständnis ist somit nicht zwingend notwendig. Zudem ist der Erlass eines Strafbefehls nur zulässig, wenn eine der folgenden Strafen verhängt werden 

  • Busse
  • Geldstrafe von maximal 180 Tagessätzen
  • Arbeit von maximal 720 Stunden
  • Freiheitsstrafe von 6 Monaten 

Grundsatz

Auch im Strafbefehlsverfahren wird die Strafe nach dem Verschulden des Täters bemessen. Es werden zudem das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters berücksichtigt. Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters bestimmt. Ausserdem wird berücksichtigt, wie weit der Täter nach den Umständen in der Lage war, die Straftat zu vermeiden (Art. 47 StGB). Zudem bestehen möglicherweise Strafmilderungs- und Strafschärfungsgründe (Art. 48 ff. StGB).

Persönliche Verhältnisse

Vor Erlass des Strafbefehls ist die Staatsanwaltschaft also verpflichtet, die persönlichen Verhältnisse der beschuldigten Person abzuklären, insoweit diese relevant sind für die Strafzumessung (Art. 308 Abs. 2 StPO). Dazu gehören insbesondere Vorstrafen- und Leumundsberichte, aber auch Angaben über familiäre Verhältnisse, Betreibungs- und Konkursregisterauszüge oder Medizinalberichte (Art. 195 Abs. 2 StPO).

Sanktionsempfehlungen

In der Praxis wird allerdings im Bereich der Massenkriminalität (Strassenverkehr, Betäubungsmittel usw.) in den meisten Fällen wenigstens als Ausgangspunkt für die Strafzumessung auf Sanktionsempfehlungen von Richter- und/oder Staatsanwaltsvereinigungen oder der Oberstaatsanwaltschaft abgestellt. Solche Empfehlungen sollen eine rechtsgleiche und effizientere Fallbehandlung ermöglichen.

Verbindung von Strafen

Die oben genannten Strafen können mit diversen Massnahmen (Art. 66 StGB und Art. 67e StGB bis Art. 73 StGB, z. B. Fahrverbot, Einziehung von Vermögenswerten oder Gegenständen) verbunden werden. Ebenfalls können die verschiedenen Sanktionsarten mit einer Busse verbunden werden. Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit und Freiheitsstrafe können im Rahmen des Strafbefehlsverfahrens nur miteinander verbunden werden, falls die Gesamtstrafe nicht mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe entspricht.

Widerruf

Eine bedingt ausgefällte Strafe oder auch eine bedingte Entlassung kann mittels Strafbefehl widerrufen werden. Diesfalls darf aber die Maximalstrafe von insgesamt sechs Monaten Freiheitsstrafe (für das Total von neuer Strafe + widerrufener Vorstrafe/Entlassung) ebenfalls nicht überschritten werden (Art. 352 Abs. 1 StPO).

Vorgehen

Gegen den Strafbefehl kann bei der Staatsanwaltschaft innert zehn Tagen seit der Zustellung schriftlich (d.h. grundsätzlich mittels einer von der betroffenen Person datierten und unterzeichneten) Einsprache erhoben werden (Art. 354 Abs. 1 StPO, s. auch Art. 110 Abs. 1 StPO). Zugestellt ist der Strafbefehl bei Erhalt (Briefpost, Einschreiben, persönliche Übergabe usw.). Bei Nichtabholung eines Einschreibens gilt dieses grundsätzlich nach unbenutztem Ablauf der Abholfrist (sieben Tage) als abgeholt. Die Einsprachefrist ist eingehalten, wenn die an die Staatsanwaltschaft adressierte Einsprache am letzten Tag der Frist der schweizerischen Post (vorzugsweise aus Beweisgründen per Einschreiben), direkt der Staatsanwaltschaft oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder (im Falle inhaftierter Personen) der Anstaltsleitung übergeben wird (Art. 91 Abs. 2 StPO).

Begründung

Anders als weitere Betroffene muss die beschuldigte Person die Einsprache nicht begründen (Art. 354 Abs. 1 und 2 StPO). Praxisgemäss ist es – zumindest in zahlreichen Kantonen – möglich, fristwahrend eine bloss vorsorgliche Einsprache zu erheben, in welcher der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wird, dass eine allfällige Begründung (bspw. nach Akteneinsicht) nachgereicht werde. Zugleich kann um Akteneinsicht ersucht und die Staatsanwaltschaft gebeten werden, mit weiteren Verfahrensschritten zuzuwarten, bis nach Akteneinsicht und Fallbeurteilung mitgeteilt wird, ob an der Einsprache festgehalten oder diese allenfalls zurückgezogen wird. Die Akteneinsicht erfolgt gegebenenfalls durch Zustellung von Kopien oder Einsichtnahme in die Akten bei der Staatsanwaltschaft.

Keine Einsprache

Falls keine Einsprache erfolgt, wird der Strafbefehl mit Ablauf der Einsprachefrist zu einem rechtskräftigen Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO).

Grundsatz

Nach erfolgter Einsprache nimmt die Staatsanwaltschaft soweit notwendig weitere Beweise ab, um die Einsprache beurteilen zu können (Art. 355 Abs. 1 StPO). So kann sich eine Befragung des Beschuldigten aufdrängen, insbesondere falls die Einsprache nicht begründet wurde. Bleibt die beschuldigte Person der Einvernahme fern, so gilt die Einsprache als zurückgezogen (Art. 355 Abs. 2 StPO).

Verschlechterungsverbot

Im Einspracheverfahren ist die Staatsanwaltschaft nicht an den Strafbefehl gebunden. Das sog. Verschlechterungsverbot (Verbot der „reformatio in peius“) gilt demnach nicht. Es ist der Staatsanwaltschaft deshalb erlaubt, die Strafe bei Vorliegen entsprechender Gründe bzw. neuer Erkenntnisse gegebenenfalls zu verschärfen.

Festhalten am Strafbefehl

Hält die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest, überweist sie die Akten dem erstinstanzlichen Gericht zur Durchführung des Strafverfahrens (Art. 356 Abs. 1 StPO). Der Strafbefehl wird in diesem Falle zur Anklageschrift. Das Gericht ist dabei nicht an die Ausführungen im Strafbefehl gebunden (Sachverhaltsbeurteilung, rechtliche Würdigung, Strafmass), sondern beurteilt die Sache gestützt auf das einschlägige Recht unabhängig und frei.

Einstellung des Verfahrens 

Falls sich aufgrund der Beweiserhebung ein Einstellungsgrund (wie z. B. Entfallen des Tatverdachts, (Art. 319 StPO) ergibt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Allenfalls wird der beschuldigten Person eine Parteientschädigung ausgerichtet. Mit der Einstellungsverfügung ist das Strafverfahren abgeschlossen. (Art. 355 Abs. 3 lit. b StPO)

Erlass eines neuen Strafbefehls 

Ein neuer Strafbefehl wird erlassen, falls die Staatsanwaltschaft anlässlich der neuen Beweislage zum Schluss kommt, dass aufgrund der sich nun geänderten Sach- resp. Rechtslage ein anderes Strafmass oder eine andere Sanktion angebracht ist. Ein neuer Strafbefehl wird ebenfalls erlassen, falls die Staatsanwaltschaft nachträglich den Sachverhalt rechtlich anders beurteilt oder neue Straftaten bekannt werden. Gegen diesen neuen Strafbefehl kann wiederum Einsprache erhoben werden. Ohne Einsprache wird der neue Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil. (Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO)

Anklageerhebung 

Anklage wird erhoben, falls bei Vorliegen neuer Erkenntnisse (z. B. Bekanntwerden weiterer Delikte) der Erlass eines neuen, angepassten Strafbefehls (Art. 355 Abs. 3 lit. c StPO, s. o.) nicht möglich ist, da die Voraussetzungen für einen Strafbefehl gemäss Art. 352 Abs. 1 StPO nicht erfüllt sind (s. o.). In diesem Fall wird durch die Anklageerhebung das erstinstanzliche Hauptverfahren eröffnet (Art. 324 Abs. 1 ff. StPO). (Art. 355 Abs. 3 lit. d StPO

Ein Rückzug der Einsprache ist bis zum Ende der sog. Parteivorträge (Plädoyer) vor Gericht möglich und führt zur Rechtskraft des Strafbefehls (Art. 356 Abs. 3 StPO). Das Gericht wird diesfalls den Verfahrensabschluss festhalten und zugleich über die Kosten des Einspracheverfahrens befinden. Ein Rückzug der Einsprache ist nicht möglich, wenn die Staatsanwaltschaft einen neuen Strafbefehl erlässt (hier ist aber eine Einsprache gegen den neuen Strafbefehl möglich) oder Anklage erhebt

Das Strafbefehlsverfahren soll die möglichst effiziente Erledigung von Strafverfahren im „Bagatellbereich“ ermöglichen. Wird der Strafbefehl nicht innert zehn Tagen ab Zustellung mit Einsprache angefochten, wird er rechtskräftig und stellt ein vollstreckbares Urteil dar. Falls Einsprache erhoben wird, nimmt die Staatsanwaltschaft allenfalls weitere Beweise ab. Sie kann nach oder auch ohne Beweisabnahme das Verfahren einstellen, einen neuen Strafbefehl erlassen, am Strafbefehl festhalten (Überweisung ans Gericht) oder vor dem erstinstanzlichen Gericht Anklage erheben. 

Ein Strafbefehlsverfahren kann also je nach konkretem Fall ganz unterschiedlich ablaufen. Nicht zuletzt ist natürlich das im Strafbefehl angewendete materielle Strafrecht (Strafbestimmungen) von zentraler Bedeutung. Soll der Strafbefehl nicht einfach unbesehen akzeptiert werden, empfiehlt sich deshalb eine rechtskundige Beratung bei einem Rechtsanwalt.

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Unser Autor

Advokatur und Notariat ambralaw

Kommentare

  1. Walter

    Meines Erachtens ist dieses Verfahren hochkritisch, in Deutschland wird ja wenigstens – aber auch unzureichend – der Strafbefehl vom Richter unterschrieben. Sinnvoll wäre es das schweizer Verfahren in Richtung des österreichischen Mandatsverfahrens oder des italienischen abgekürzten Verfahrens zu entwickeln. Dass eine Kriminalstrafe von einem Staatsanwalt verhängt wird dürfte eigentlich nicht mehr sein. Vielmehr sollte die Aufgabe der Staatsanwaltschaft die Diversion sein – wie in Österreich.

  2. Lorenz

    Strafbefehlsverfahren können auch von Übertretungsstrafbehörden durchgeführt werden (vgl. BGE 140 IV 192; 142 IV 70).
    Eine kurze Anmerkung im Text wäre super.

    Danke für den Artikel 🙂

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