Wer einen Anspruch gegen einen Prozessgegner durchsetzen möchte, kann dies grundsätzlich erst mit Eintritt der Rechtskraft des vollstreckbaren Entscheides tun. Es dauert in der Regel jedoch mehrere Monate oder Jahre, um so weit zu kommen. Mit der Einreichung der Klage – oder auch schon vor der Klageeinreichung – kann für den Anspruchsberechtigten eine Situation entstehen, in welcher es notwendig wird, vorläufigen Rechtsschutz zu ersuchen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Prozessgegner den Anspruch des Klägers/Gesuchstellers in der Zwischenzeit vereiteln könnte. Mittels Gesuch um eine vorsorgliche Massnahme (Art. 261 ff. ZPO, oft auch vorsorgliche Verfügung, einstweilige Massnahme oder „Massnahmeverfahren“ genannt) kann der Gesuchsteller schon vorsorglich um Rechtsschutz ersuchen, um die Durchsetzung eines (späteren) endgültigen Urteils mit umfassenden Rechtsschutzgarantien sicherzustellen („Hauptsacheverfahren„).

Vorsorgliche Massnahmen haben unterschiedliche Anwendungsbereiche und kennen dazu vier kumulative Voraussetzungen. Bei periodisch erscheinenden Medien sind vorsorgliche Massnahmen zudem nur unter zusätzlichen Voraussetzungen möglich. Das Gesuch für vorsorgliche Massnahmen muss grundsätzlich schriftlich eingereicht werden. Das Gesetz kennt verschiedene Arten, wie vorsorgliche Massnahmen angeordnet werden können. Desweitern gilt es, einige Verfahrensfragen zu beachten. Nicht ausser Acht gelassen werden darf zudem eine mögliche Schadenersatzpflicht für den Fall, dass sich eine vorsorgliche Massnahme im Nachhinein als ungerechtfertigt erweist.

(Einleitend sei der Hinweis gestattet, dass die Rechtsmittel zu den vorsorglichen Massnahmen nach den Art. 261 ff. ZPO nicht Gegenstand dieser Übersicht sind.)

Sicherung von Realansprüchen

Eine vorsorgliche Massnahme nach den Art. 261 ff. ZPO ist für die einstweilige Sicherung von Realansprüchen zu ersuchen. Die Sicherung von Geldforderungen und Forderungen auf Sicherheitsleistungen sind von den Art. 261 ff. ZPO nicht erfasst!

Sicherung von Geldforderungen und Forderungen auf Sicherheitsleistungen

Das SchKG regelt die Sicherung von Geldforderungen und der Forderungen auf Sicherheitsleistungen (vgl. Art. 38 Abs. 1 SchKG; provisorische Pfändung nach Art. 81 Abs. 1 SchKG; Arrest nach Art. 272 ff. SchKG).

Weitere Spezialbestimmungen

Daneben bestehen weitere Spezialbestimmungen (Art. 269 ZPO), die den Art. 261 ff. ZPO vorgehen (vgl. Adrian Staehlin/Daniel Staehelin/Pascal Grolimund, Zivilprozessrecht, Unter Einbezug des Anwaltsrechts und des internationalen Zivilprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012, § 22 N 3 ff. mit Hinweisen).

Vier kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen

Der Gesuchsteller hat glaubhaft zu machen, dass ein ihm zustehender Anspruch verletzt ist, oder eine Verletzung zu befürchten ist und ihm aus der Verletzung ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht(Art. 261 ZPO). In diesem Fall trifft das Gericht die notwendigen Massnahmen.

Aus dem Gesetz (Art. 261 ZPO) ergeben sich somit die folgenden Voraussetzungen, die kumulativ zu erfüllen sind:

  1. Verfügungsanspruch: Der Gesuchsteller muss glaubhaft machen, dass er einen einen zivilrechtlichen Anspruch hat (z.B. Lieferung einer gekauften Sache; Unterlassung einer Persönlichkeitsverletzung). Für den Verfügungsanspruch ist eine günstige Hauptsacheprognose erforderlich (Art. 263 ZPO). Das Gericht muss von der Darstellung des Gesuchstellers nicht überzeugt sein, sie aber dennoch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für glaubhaft halten. Blosses Behaupten des Gesuchstellers reicht nicht aus. Es genügt, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein der in Frage stehenden Tatsache spricht.
  2. Verfügungsgrund: Der Gesuchsteller muss die Gefahr eines nicht oder nicht leicht wieder gut zu machenden Nachteils aufgrund einer zu befürchtenden oder bereits vorliegenden Verletzung des Verfügungsanspruchs glaubhaft machen (Sabine Kofmel Ehrenzeller, KUKO ZPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 261 ZPO N 7). Der nicht leicht wieder gut zu machende Nachteil besteht in einer Beeinträchtigung des Gesuchstellers in seiner materiellen Rechtsstellung (BGE 116 Ia 446 E. 2). Er muss ein Bedürfnis nach sofortigem Rechtsschutz haben (z.B. wegen der Gefährdung des eingeklagten Anspruchs aufgrund der langen Prozessdauer; der Prozessgegner könnte den Gegenstand beispielsweise bis zur rechtskräftigen Erledigung an einen Dritten verkaufen, sofern keine Sicherungsmassnahme getroffen wird). Die Vollstreckung eines Verfügungsanspruchs wird ohne die vorsorgliche Massnahme erschwert oder vereitelt (z.B. Verletzung eines Konkurrenzverbots).
  3. Dringlichkeit: Diese Voraussetzung hängt eng mit dem Verfügungsgrund zusammen und ergibt sich implizit auch aus Art. 265 ZPO. Sofern bis zum rechtskräftigen Hauptprozess abgewartet werden müsste, könnte in der Zwischenzeit der dem Gesuchsteller/Kläger zustehende Anspruch vereitelt werden.
  4. Verhältnismässigkeit: Vorsorgliche Massnahmen müssen notwendig und geeignet (Art. 261 f. ZPO), respektive verhältnismässig, sein, da in die Rechtslage der Gegenpartei oder von Dritten eingegriffen wird, bevor überhaupt ein definitiver Entscheid über den behaupteten Anspruch vorliegt. Es muss hierbei eine Interessenabwägung zwischen den betroffenen Parteien getroffen werden, um festzustellen, ob und mit welchem Inhalt eine vorsorgliche Massnahme angeordnet werden kann (Urteil des Bundesgerichts vom 14. November 2008, 4A_367/2008, E. 4.2).

Sicherheitsleistung

Das Gericht kann von Amtes wegen die Anordnung der vorsorglichen Massnahmen von der Leistung einer Sicherheit durch den Gesuchsteller abhängig machen, wenn für die Gegenpartei ein Schaden zu befürchten ist (Art. 264 Abs. 1 ZPO). Diese Sicherheitsleistung ist keine Voraussetzung im Sinne von Art. 261 ZPO.

Glaubhaft machen statt strikter Beweis

Grundsatz

Beim Gesuch für die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme gibt es – im Gegensatz zu Verfahren, die im ordentlichen oder in sonstigen summarischen Verfahren abgewickelt werden – keine strenge Beweisprüfung, da der Rechtsschutz schnell gewährt werden soll. Dieser tiefe Beweisstandard gilt sowohl für Gesuche um vorsorgliche Massnahmen, die vor oder nach der Rechtshängigkeit des Hauptprozesses beantragt werden (vgl. Thomas Sprecher, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 261 ZPO N 50). Es existieren zahlreiche Theorien darüber, wie der Begriff „glaubhaft machen“ zu verstehen ist. Das Bundesgericht stellt sich auf den Standpunkt, dass für das Vorhandensein einer Tatsache gewisse Elemente sprechen müssen, selbst wenn das Gericht noch mit der Möglichkeit rechnet, dass sich diese nicht verwirklicht haben könnte (BGE 130 III 323 E. 3.3). Das Gericht braucht nicht völlig überzeugt zu sein, muss aber aufgrund einer summarischen Prüfung zum Schluss kommen, dass die Behauptungen überwiegend wahr sein könnten, obwohl noch Zweifel vorhanden sind (BGE 132 III 140). Es genügt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die behaupteten Tatsachen spricht (BGE 120 II 398; BGE 103 II 287). Blosses Behaupten genügt für die Glaubhaftmachung nicht.

Praxis

In der Praxis bedeutet dies, dass die behaupteten Tatsachen mit zulässigen Beweismitteln schon bei der Einreichung des Gesuchs bewiesen werden. Es ist zu zeigen, dass der Gesuchsteller anhand von objektiven Anhaltspunkten seine Behauptungen untermauern kann. Mit dem Gesuch sind v.a. Urkunden wie etwa Verträge, Korrespondenz, Protokolle usw. vorzulegen (Art. 254 Abs. 1 ZPO). Andere Beweismittel sind zulässig, sofern sie das Verfahren nicht wesentlich verzögern und sofern sie für den Verfahrenszweck im Rahmen der vorsorglichen Massnahmen erforderlich sind oder das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (Art. 254 Abs. 2 ZPO). Ein privat erstelltes Gutachten genügt für die Glaubhaftmachung nicht, da Gerichte Privatgutachten in der Regel als blosse Parteivorbringen bzw. als Behauptungen behandeln (BGE 132 III 83 E. 3.4).

Keine strenge Anforderung an das „Glaubhaft machen“ bei vorläufigen Eintragungen nach Art. 961 ZGB

An das Glaubhaft machen bei vorläufigen Eintragungen gemäss Art. 961 Abs. 3 ZGB (z.B. für die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts nach Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB i.V.m. Art. 961 ZGB) dürfen keine strengen Anforderungen gestellt werden. Das Gericht hat im Zweifel das Gesuch auf vorläufige Eintragung gutzuheissen. Ein Gesuch darf nur dann abgewiesen werden, sofern der der Bestand des dinglichen Rechts als ausgeschlossen erscheint oder höchst unwahrscheinlich ist; im Zweifelsfall, bei unklarer oder unsicherer Rechtslage, ist die vorläufige Eintragung dagegen zu bewilligen und die Entscheidung dem ordentlichen Richter zu überlassen. Ein Gesuch ist zu bewilligen, wenn das Begehren nicht offenbar trölerisch oder schikanös ist (BGE 86 I 269; BGE 39 II 139).

Fazit

Je mehr der provisorische Massnahmeentscheid die endgültige Regelung präjudiziert, desto besser müssen die Tatsachen beim Richter glaubhaft gemacht werden. Insbesondere beim Gesuch um vorläufige Anordnung von Leistungsmassnahmen sind die Anforderungen höher anzusetzen, als bei Sicherungs- oder Regelungsmassnahmen. Falls die vorsorgliche Massnahme in der vorläufigen Eintragung i.S.d. Art. 961 ZGB erfolgen soll, so darf das Gericht keine strengen Anforderungen an das Glaubhaft machen stellen; sogar im Zweifelsfall hat die Anordnung der vorsorglichen Massnahmen zu erfolgen, sofern das Vorhandensein des Verfügungsanspruchs nicht gänzlich ausgeschlossen oder höchst unwahrscheinlich ist (BGE 86 I 269).

Hintergrund

Falls sich eine vorsorgliche Massnahme gegen einen Beitrag richtet, der in einem periodisch erscheinenden Medium veröffentlicht werden soll (z.B. Bericht im redaktionellen Teil einer Zeitung oder in einer TV-Sendung), entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Medienfreiheit (Art. 17 BV) und dem Persönlichkeitsschutz (Art. 10 Abs. 2 BV und Art. 13 BV). Art. 266 ZPO soll dem diesbezüglichen Interessenausgleich dienen und zugleich eine politisch unerwünschte Zensur verhindern.

Voraussetzungen

Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn neben den allgemeinen Voraussetzungen (Art. 261 ZPO und evtl. Art. 264 ZPO) kumulativ die drei folgenden Voraussetzungen glaubhaft gemacht werden (Art. 266 ZPO):

  1. Die drohende Rechtsverletzung kann der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen. Hier muss ein – im Vergleich zu Art. 261 Abs. 1 lit. b ZPOqualifizierter Verfügungsgrund bestehen. Je grösser der Adressatenkreis der Bekanntmachung ist, desto eher ist dies ein Indiz für den besonders schweren Nachteil (Sabine Kofmel Ehrenzeller, KUKO ZPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 266 ZPO N 3).
  2. Es liegt offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vor. Ein Rechtfertigungsgrund fehlt, wenn der Gesuchsteller keine Einwilligung zur Publikation oder Sendung gegeben hat und auch kein öffentliches Interesse für die Publikation oder die Sendung besteht.
  3. Die Massnahme erscheint nicht unverhältnismässig. Es handelt sich hier um dieselbe Verhältnismässigkeitsprüfung wie bei Art. 261 Abs. 1 ZPO. Im Rahmen dieser Prüfung sind die Folgen einer Nichtveröffentlichung der Publikation respektive Sendung – der schwere Nachteil des Gesuchsgegners – und des Einflusses auf die Persönlichkeitsrechte des Gesuchstellers zu prüfen.

Das Gesuch ist gemäss Art. 252 Abs. 2 ZPO in den Formen gemäss Art. 130 ZPO einzureichen. Grundsätzlich ist das Gesuch schriftlich zu stellen. In einfachen oder dringenden Fällen kann das Gesuch mündlich beim Gericht zu Protokoll gegeben werden (Thomas Sprecher, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 261 ZPO N 3 f.). Das Gesuch muss grundsätzlich die allgemeinen Anforderungen an eine Rechtsschrift erfüllen. Eine Klagebewilligung (Art. 221 Abs. 2 lit. b ZPO) ist beim Gesuch um vorsorgliche Massnahmen allerdings nicht notwendig, da das Schlichtungsverfahren entfällt (Art. 198 lit. h ZPO).

Arten von Massnahmen

Der Anspruchsberechtigte ersucht mit der vorsorglichen Massnahme um eine Sicherungsmassnahme, um eine Leistungsmassnahme oder um eine Regelungsmassnahme:

  1. Mit der Sicherungsmassnahme wird der Anspruchsberechtigte davor geschützt, dass der Streitgegenstand während des Prozesses seinem späteren Zugriff entzogen wird. Beispiele: Das Verbot an eine Aktiengesellschaft, einen angefochtenen Generalversammlungsbeschluss zu vollziehen; das Gebot, bei Grundstücken eine Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung (Art. 960 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB) oder eine vorläufige Eintragung im Grundbuch (Art. 961 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB und Art. 966 Abs. 2 ZGB) oder eine Grundbuchsperre (Art. 56 GBV) anzuordnen.
  2. Das angestrebte Prozessziel soll mit der Leistungsmassnahme erreicht werden, da andernfalls alleine durch Zeitablauf das Ziel des Prozesses (auch bei Obsiegen des Klägers) ganz oder teilweise illusorisch werden könnte (BGE 95 II 501). Mit der Leistungsmassnahme ist dies zu verhindern; es geht also um die vorläufige Vollstreckung. Beispiele: Durchsetzung eines Konkurrenzverbotes; eine Störung einstweilen zu unterlassen.
  3. Die Regelungsmassnahme hat das Ziel, dass Rechte und Pflichten innerhalb eines Dauerrechtsverhältnisses während der Prozessdauer geregelt sind, statt ungeregelt der Willkür und der Selbsthilfe der Parteien zu überlassen. Beispiele: Entzug einer Vertretungsbefugnis eines Gesellschafters gegenüber der Kollektivgesellschaft (Art. 565 Abs. 2 OR); Regelung des Wohnverhältnisses während eines mietrechtlichen Verfahrens (Art. 270e lit b. OR).

Inhalt

Der Gesuchsteller verlangt vom Gesuchsgegner ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen. Eine vorsorgliche Massnahme nach den Art. 261 ff. ZPO kann gemäss Art. 262 ZPO jede gerichtliche Anordnung sein, die geeignet und erforderlich ist, den drohenden Nachteil abzuwenden, insbesondere:

  • ein Verbot;
  • eine Anordnung zur Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands;
  • eine Anweisung an eine Registerbehörde oder eine dritte Person;
  • eine Sachleistung;
  • die Leistung einer Geldzahlung in den vom Gesetz bestimmten Fällen.

Kein Numerus Clausus

Es besteht bei den vorsorglichen Massnahmen nach den Art. 261 ff. ZPO kein numerus clausus der Massnahmen, die der Richter anordnen kann. Solange die ersuchte Massnahme geeignet und erforderlich bzw. verhältnismässig ist (und insbesondere die Voraussetzungen von Art. 261 ff. ZPO erfüllt), kann der Richter die entsprechende Anordnung treffen.

Summarisches Verfahren

Für das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen gilt gemäss Art. 248 lit. d ZPO das summarische Verfahren (Art. 248 ff. ZPO). Insbesondere daraus ergibt sich, dass beim Gesuch um vorsorgliche Massnahmen das Schlichtungsverfahren entfällt (Art. 198 lit. a ZPO; vgl. aber auch Art. 263 ZPO i.V.m. Art. 198 lit. h ZPO).

Örtliche Zuständigkeit

Welches Gericht örtlich zuständig ist, ergibt sich im nationalen Kontext aus Art. 13 ZPO. Demnach ist, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen zwingend das Gericht am Ort zuständig, an dem die Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist oder die Massnahme vollstreckt werden soll. Die Gerichtsstände von Art. 13 ZPO gelten nur, wenn das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. Diese besonderen Gerichtsstände, die Art. 13 ZPO vorgehen, bestehen beispielsweise für erbrechtlichen Massnahmen (Art. 28 Abs. 2 ZPO), für Zahlungsverbote aus Check und Wechsel (Art. 43 Abs. 4 ZPO), für das Scheidungsverfahren (Art. 276 Abs. 1 ZPO), für die Unterhalts- und Vaterschaftsklage (Art. 304 ZPO) sowie für nationale und internationale Schiedsverfahren (Art. 374 ZPO; Art. 183 IPRG) oder beim ohnehin nicht nach den Art. 261 ff. ZPO geregelten Arrest (Art. 272 Abs. 1 SchKG).

Der Gerichtsstand von Art. 13 ZPO ist zwingend. Das heisst, dass die Parteien nicht hiervon abweichen können, egal ob sie eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben oder sich auf ein solches Massnahmeverfahren des Gesuchsgegners einlassen (Art. 9 Abs. 2 ZPO).

Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem kantonalen Recht (Art. 4 ZPO). Im Kanton Zürich ergibt sich die sachliche Zuständigkeit aus dem Gesetz über die Gerichts– und Behördenorganisation im Zivil– und Strafprozess (GOG; vgl. § 24 lit. c oder § 45 lit. b GOG–ZH).

Massnahmen vor der Rechtshängigkeit der Hauptklage

Art. 263 ZPO regelt das Verhältnis des Verfahrens betreffend vorsorgliche Massnahmen (Massnahmeverfahren) zum mit den vollen Rechtsschutzgarantien ausgestatteten Verfahren, das zum endgültigen Rechtsschutz führt (Hauptsacheverfahren). Demnach kann ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen bereits vor oder während der Rechtshängigkeit einer Klage im ordentlichen (Art. 221 ZPO) oder im vereinfachten Verfahren (Art. 243 ZPO) beantragt werden. Wenn die Klage noch nicht in der Hauptsache rechtshängig ist, so setzt das Gericht dem Gesuchsteller eine Frist zur Einreichung einer Klage, mit der Androhung, die angeordnete Massnahme falle bei ungenutztem Ablauf dieser Frist ohne Weiteres dahin (Art. 263 ZPO). Der Gesuchsteller muss innert dieser Frist eine Klage in der Hauptsache rechtshängig machen (Prosequierung), damit das Gericht in diesem (an das Massnahmeverfahren anschliessende) Hauptsacheverfahren endgültig über den vorsorglich beantragten Rechtsschutz entscheiden kann.

Falls die vorsorgliche Massnahme während der Rechtshängigkeit einer Klage beantragt wird, entfällt die Prosequierung. Sie ist entbehrlich, da im gleichen Verfahren die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der vorsorglichen Massnahme mit den vollen Rechtsschutzgarantien überprüft wird bzw. da die Klage ohnehin schon rechtshängig ist.

Superprovisorische Massnahmen

Bei besonderer Dringlichkeit oder wenn beispielsweise Vereitelungsgefahr besteht, können superprovisorische Massnahmen erlassen werden (Art. 265 Abs. 1 ZPO). Das heisst, dass aufgrund der besonderen Dringlichkeit oder der Vereitelungsgefahr dem Gesuchsgegener das rechtliche Gehör erst nach dem Erlass der vorsorglichen Massnahme gewährt wird.

Wenn das Gericht eine superprovisorische Massnahme angeordnet hat, lädt das Gericht die Parteien entweder zu Verhandlung vor, oder es setzt der Gegenpartei eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme (Art. 265 Abs. 2 ZPO).

Vollstreckung

Laut Art. 267 ZPO trifft das Gericht, welches die vorsorgliche Massnahme anordnet, auch die erforderlichen Vollstreckungsmassnahmen (Art. 343 ZPO). Im Anwendungsbereich der Dispositionsmaxime (Art. 58 ZPO) muss der Gesuchsteller vom Gericht die Vollstreckung der entsprechenden Massnahme verlangen (Sabine Kofmel Ehrenzeller, KUKO ZPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 267 ZPO N 2; andere Ansicht: Adrian Staehelin/Daniel Staehelin/Pascal Grolimund, Zivilprozessrecht, Unter Einbezug des Anwaltsrechts und des internationalen Zivilprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012, § 22 N 33; vorsichtshalber sollte ein Gesuchsteller der Ansicht von Sabine Kofmel Ehrenzeller folgen).

Materielle Rechtskraft, Abänderung und Aufhebung

Der Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme beruht unter anderem auf dem Glaubhaftmachen der behaupteten Tatsachen. Es erfolgt damit nur eine erleichterte materiellrechtliche Prüfung. Damit erhält der Entscheid über vorsorgliche Massnahmen nur eine beschränkte materielle Rechtskraft, da dieser Massnahmeentscheid lediglich die Verwirklichung des Rechtsschutzes in der Hauptsache sicherstellen soll (Sabine Kofmel Ehrenzeller, KUKO ZPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 268 ZPO N 1). Zudem kann der Entscheid betreffend Anordnung einer vorsorglichen Massnahme jederzeit abgeändert oder aufgehoben werden (Art. 268 ZPO). Entsprechend kann diesem Entscheid keine volle Rechtskraftwirkung zukommen; insbesondere auch nicht gegenüber dem Entscheid im Hauptsacheverfahren (Thomas Sprecher, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 268 ZPO N 3). Erst der definitive Entscheid im Hauptsacheverfahren erlangt die materielle Rechtskraft.

Falls ein Gesuch bereits abgelehnt wurde, so ist ein neues Gesuch nur dann möglich, wenn sich nach Massgabe von Art. 268 ZPO die Umstände geändert haben (Thomas Sprecher, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 268 ZPO N 7 f. und Art. 261 ZPO N 100 ff.). Ein bereits abgelehntes Gesuch lediglich mit einer neuen rechtlichen Begründung zu stellen, ist gemäss herrschender Ansicht nicht zulässig (Thomas Sprecher, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 261 ZPO N 101 mit Hinweisen).

Die beantragte vorsorgliche Massnahme beruht darauf, dass die Voraussetzungen von Art. 261 ZPO vom Gesuchsteller glaubhaft gemacht wurden; eine umfassende materielle Prüfung des Anspruchs geschieht im Massnahmeverfahren nicht. Sollte sich – bevor das Hauptsacheverfahren rechtshängig oder beendet wird – herausstellen, dass sich die tatsächliche Lage verändert hat oder sich die vorsorgliche Massnahme nachträglich als ungerechtfertigt erweist, weil die Voraussetzungen für ihren Erlass (Art. 261 ZPO) nicht mehr gegeben sind, kann die Gegenpartei eine Abänderung oder Aufhebung der vorsorglichen Massnahme verlangen (Art. 268 ZPO). Für die Abänderung oder Aufhebung der vorsorglichen Massnahme ist das Gericht örtlich zuständig, das für den Erlass der vorsorglichen Massnahme örtlich zuständig war. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach kantonalem Recht (Art. 4 ZPO).

Die Abänderung oder Aufhebung der vorsorglichen Massnahme ist grundsätzlich nicht mehr möglich, wenn sie im Hauptsacheverfahren (definitiv) rechtskräftig bestätigt wurde (vgl. aber Art. 328 ff. ZPO).

Falls die vorsorgliche Massnahme beim Gesuchsgegner (oder bei einem Dritten) einen Schaden verursacht und sich die vorsorgliche Massnahme im Nachhinein als ungerechtfertigt erweist, so haftet Gesuchsteller für den entstandenen Schaden (Art. 264 Abs. 2 ZPO). Der Geschädigte muss in diesem Fall eine entsprechende Schadenersatzklage gestützt auf Art. 264 Abs. 2 ZPO analog Art. 41 ff. OR gegen den Gesuchsteller geltend machen. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in diesem Fall nach Art. 37 ZPO. Immerhin kann das Gericht, falls der Gesuchsteller beweist, dass er sein Gesuch in guten Treuen gestellt hat, die Ersatzpflicht herabsetzen oder gänzlich von ihr entbinden (Art. 264 Abs. 2 ZPO).

Beispiel 1:

Der Gesuchsteller X hat konkrete Anhaltspunkte (z.B. in Form von Emails), dass der Gesuchsgegner Y (ein Journalist, der beim Medien-Unternehmen Z AG angestellt ist) eine persönlichkeitsverletzende Publikation mit dem Titel „ABC“ über den Gesuchsteller veröffentlichen wird. Gestützt auf Art. 28 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB ersucht der Gesuchsteller beim zuständigen Gericht die drohende Persönlichkeitsverletzung zu verbieten. Die Rechtsbegehren für die vorsorgliche Massnahme könnte wie folgt lauten:

  1. Es sei dem Gesuchsgegner vorsorglich zu verbieten, die Publikation „ABC“ in jedwelcher Form zu veröffentlichen, durch Dritte veröffentlichen zu lassen und/oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
  2. Es sei das Verbot gemäss Ziff. 1 superprovisorisch ohne Anhörung des Gesuchsgegners anzuordnen.
  3. Für den Fall der Nichtbeachtung des Verbots gemäss Ziff. 1 sei dem Gesuchsgegner eine Busse und Bestrafung nach Art. 292 StGB anzudrohen.
  4. Alles unter Kosten– und Entschädigungsfolgen (zzgl. MWST) zulasten des Gesuchsgegners.

Zusätzlich sind die Tatsachen zu behaupten und entsprechende Beweise zu liefern; vgl. oben zur Form des Gesuches. Des Weiteren müssen insbesondere die Voraussetzungen für den Erlass einer vorsorglichen Massnahmen gegen Medienunternehmen erfüllt sein.

Beispiel 2:

Ein Handwerker hat bei einem Einfamilienhaus eine Renovation durchgeführt. Der Eigentümer weigert sich jedoch, die Rechnung zu bezahlen. Der Handwerker hat den Anspruch (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB), ein Grundpfandrecht einzutragen, um seine Forderung zu sichern. Dies muss innert vier Monaten nach Abschluss der Arbeiten im Grundbuch eingetragen sein, damit der Anspruch nicht verwirkt (Art. 839 Abs. 2 ZGB). Der Handwerker hat dem Eigentümer Rechnung gestellt und diesen bereits gemahnt; eine Zahlung ist ausgeblieben. Falls dem Handwerker nur noch wenig Zeit bleibt (beispielsweise ein Monat), muss er mit einer vorsorglichen Massnahme die vorläufige Eintragung eines Pfandrechts verlangen, da ein ordentlicher Prozess deutlich länger als einen Monat dauert. Vgl. hierzu die weiterführenden Hinweise im Merkblatt Bauhandwerkerpfandrecht.

Die folgende Tabelle stellt – erheblich vereinfacht – dar, wie ein ordentliches Verfahren (Art. 219 ff. ZPO) mit oder ohne Gesuch auf Anordnung vorsorglicher Massnahmen und mit Gesuch auf Anordnung vorsorglicher Massnahmen vor oder während des Hauptsacheverfahrens, ablaufen könnte; von dieser Darstellung abweichende Abläufe sind möglich. Der folgende Ablauf zeigt jeweils die Situation, wenn der Gesuchsgegner gegen den Gesuchsgegner obsiegt; falls der Gesuchsteller unterliegt, resultiert daraus ein anderer Ablauf, der hier nicht abgebildet ist.

Welche Vorgehensweise zu wählen ist, ergibt sich insbesondere aus dem drohenden nicht oder nicht leicht wieder gutzumachenden Nachteil (Art. 261 Abs. 1 lit. b ZPO). Falls der Prozessgegner beispielsweise mit einem Schlichtungsgesuch über die drohende Klage vorgewarnt wird, könnte er sich einer definitiven Vollstreckung entziehen. Die möglichen Rechtsmittel werden in dieser Übersicht nicht dargestellt.

Ordentliches Verfahren ohne vorsorgliche Massnahme

Ordentliches Verfahren inkl. vorsorgliche Massnahme

Vorsorgliche Massnahme; anschliessend ordentliches Verfahren Superprovisorische vorsorgliche Massnahme; anschliessend ordentliches Verfahren
Gesuch Gesuch
Superprovisorischer Entscheid inkl. vorläufiger Vollstreckung
Gesuchsantwort Gesuchsantwort
Bestätigungs-entscheid inkl. vorläufiger Vollstreckung Bestätigungs-entscheid
Schlichtungs-gesuch; Schlichtungs-verhandlung; Klagebewilligung Schlichtungsgesuch; Schlichtungs-verhandlung; Klagebewilligung
Klage Klage inkl. Antrag auf vorsorgliche Massnahme Prosekutionsklage Prosekutionsklage
Klageantwort Klageantwort inkl. Stellungnahme zum Gesuch auf Anordnung der vorsorglichen Massnahme; vorläufige Vollstreckung Klageantwort Klageantwort
Entscheid bezüglich der vorsorglichen Massnahme inkl. Vollstreckung
evtl. Replik und Duplik; Haupt-verhandlung etc. evtl. Replik und Duplik; Hauptverhandlung etc. evtl. Replik und Duplik; Haupt-verhandlung etc. evtl. Replik und Duplik; Haupt-verhandlung etc.
Entscheid Entscheid Entscheid Entscheid
Definitive Vollstreckung Definitive Vollstreckung Definitive Vollstreckung Definitive Vollstreckung

Adrian Staehlin/Daniel Staehelin/Pascal Grolimund, Zivilprozessrecht, Unter Einbezug des Anwaltsrechts und des internationalen Zivilprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2012, § 22 N 1 ff.

Bettina Hürlimann-Kaup/Jörg Schmid, Einleitungsartikel des ZGB und Personenrecht, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2010, N 954 ff.

Alexander Kernen, Persönlichkeitsverletzungen im Internet Zuständigkeit schweizerischer Gerichte im internationalen Verhältnis , Schriften zum Schweizerischen Zivilprozessrecht, Band 20, Zürich/St. Gallen 2014.

Lukas Müller, Einstweiliger Rechtsschutz gegen Internetinhalte nach schweizerischer Zivilprozessordnung – Rechtliche und technische Aspekte, 151–177, in: Julia Hänni/Daniela Kühne (Hrsg.): Brennpunkt Medienrecht, Das mediale Zeitalter als juristische Herausforderung, Zürich/St.Gallen 2009.

Christian Oetiker/Thomas Weibel/Carole Sorg, Rechtspflege im Laufschritt, Der vorsorgliche Rechtsschutz in der Praxis der Unternehmen, 2. Aufl., Zürich/Basel 2012.

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