Schematische Darstellung

Im Zivilprozess werden mehrere Prozessmaximen unterschieden. Der Dispositionsgrundsatz ist typisch für das ordentliche Verfahren und bedeutet, dass die Parteien über den Streitgegenstand bestimmen. Der Offizialgrundsatz stellt das Gegenteil dar, wobei hier das Gericht von den Anträgen der Parteien abweichen kann. Die Verhandlungsmaxime und der Untersuchungsgrundsatz behandeln die Thematik der Behauptungs-, Substanziierungs- und Bestreitungslast sowie der Beweislast. 

Grundsatz

Die Dispositionsmaxime ist eine der Prozessmaximen und stellt die prozessuale Konsequenz der Privatautonomie dar. Dies hat zur Folge, dass die Parteien die Verfügungsfreiheit über den Streitgegenstand besitzen (BSK ZPO, Gehri, 2013, Art. 58 N 1). Die Dispositionsmaxime ist das Gegenstück zur Offizialmaxime.

Verfahrenseinleitung

Das Verfahren wird beim Dispositionsgrundsatz durch die klagende Partei und nicht von Amtes wegen eingeleitet (Art. 58 ZPO). 

Bindung an Parteianträge

Grundsatz

Das Gericht wird nur dann tätig, wenn es von ihm verlangt wird. Dies gilt sogar dann, wenn es um unverzichtbare Ansprüche geht, wie dem Schutz der Persönlichkeit (Art. 27 ZPO). Das Gericht ist an die Parteianträge gebunden und darf einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als von dieser verlangt wurde (BGE 129 V 450 E. 3.2). Desweiteren darf das Gericht nicht weniger zusprechen, als von der beklagten Partei anerkannt wurde (BGE 129 V 450 E. 3.2). Die Parteien müssen das Thema des Prozesses bestimmen (Schweizerisches Zivilprozessrecht, Guldener, 1979, 148).

Rechtsmittelverfahren

Für das Rechtsmittelverfahren bedeutet der Dispositionsgrundsatz ein Verbot der reformatio in peius. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Gegenpartei selbständig Berufung (Art. 308 ZPO) oder Anschlussberufung (Art. 313 ZPO) ergreift.

Beendigung des Prozesses

Der Prozess kann jederzeit (Art. 208 ZPO) durch Klagerückzug des Klägers, durch Klageanerkennung des Beklagten oder durch gerichtlichen Vergleich beider Parteien beendet werden (Art. 241 ZPO). Desweiteren können die Parteien beim Gericht im Dispositionsgrundsatz jederzeit die Durchführung einer Mediation beantragen (Art. 214 Abs. 2 ZPO).   

Grundsatz

Der Offizialgrundsatz kommt vor allem dort zur Anwendung, wo öffentliche Interessen oder das Interesse von Dritten im Vordergrund stehen. Dies ist der Fall, wenn eine Rechtsänderung verlangt wird, die nicht durch ein privates Rechtsgeschäft erwirkt werden kann (BSK ZPO, Gehri, 2013, Art. 58 N 15). Dazu zählen bspw. die Ehe-, Status-, Vaterschafts- oder Entmündigungsprozesse. Der Offizialgrundsatz ist das Gegenstück zur Dispositionsmaxime.

Verfahrenseinleitung

Es liegt an der klagenden Partei, das Verfahren einzuleiten. Ausnahmsweise wird das Verfahren jedoch auch durch eine staatliche Behörde eingeleitet (bspw. Ungültigkeitserklärung einer Ehe nach Art. 106 ZGB). Ein Rechtsmittelverfahren wird hingegen nie von Amtes wegen eingeleitet. 

Bindung an Parteianträge

Kommt der Offizialgrundsatz als eine der Prozessmaximen zur Anwendung, so ist das Gericht nicht an die Parteianträge gebunden (Art. 296 Abs. 3 ZPO). Dementsprechend kann das Gericht mehr, weniger oder etwas anderes zusprechen, als beantragt wurde. 

Beendigung des Prozesses

Die Parteien haben im Offizialgrundsatz grundsätzlich keine Möglichkeit, den Prozess vorzeitig zu beenden, da sie nicht frei über den Streitgegenstand verfügen können. Die einzige Ausnahme dazu ist die Anerkennung der Vaterschaftsklage (Art. 260 Abs. 3 ZPO). Dies bedeutet, dass sowohl eine Klageanerkennung oder ein Vergleich nicht zum Prozessende führt, hingegen steht den Parteien der Klagerückzug jederzeit offen.

Abgrenzung

Der Offizialgrundsatz als eine der Prozessmaximen ist vom richterlichen Handeln ex officio (Handeln von Amtes wegen) abzugrenzen, da sich der Offizialgrundsatz auf „die richterliche Beteiligung an der sonst den Parteien überlassenen Zusammenstellung des Prozessstoffes und auf den Parteien zukommenden Verfügung über den eingeklagten Anspruch bezieht“ (Die Offizialmaxime, Anwendungsbereich und Grenzen im schweizerischen Zivilprozessrecht, Walder, 1973, 6 f.). 

Grundsatz

Der Verhandlungsgrundsatz (Art. 55 ZPO) als eine der Prozessmaximen beruht auf der Idee, dass die Parteien am besten über den relevanten Sachverhalt orientiert sind (Schweizerisches Zivilprozessrecht, Guldener, 1979, 160). Der Verhandlungsgrundsatz ist das Gegenstück zum Untersuchungsgrundsatz.

Behauptungs- und Substanziierungslast

Grundsatz

Die Parteien müssen die Tatsachen, auf denen sie ihre Rechtsbegehren stützen, darlegen und inhaltlich konkretisieren

Behauptungslast

Derjenige, der das Vorhandensein einer Tatsache behauptet um daraus Rechte abzuleiten, muss dessen Vorhandensein beweisen (BSK ZGB I, 2011, Schmid, Art. 8 N 38). Die Behauptungslast ist jedoch eine Obliegenheit, weshalb ihre Unterlassung dazu führt, dass die Tatsache im Zivilprozess nicht berücksichtigt wird. Der Richter darf zudem bei Vorliegen des Verhandlungsgrundsatzes sein Urteil nur auf Tatsachen gründen, die geltend gemacht wurden (Zivilprozessrecht, Walder/Grob, 2009, § 17 Rz. 6). Dies gilt selbst dann, wenn er nach Ermessen zu entscheiden hat (Zivilprozessrecht, Walder/Grob, 2009, § 17 Rz. 9).

Substanziierungslast

Das genaue Mass der Bestimmtheit richtet sich nach dem materiellen Bundesrecht (BGE 123 III 183 E. 3e). Eine Tatsachenbehauptung muss immer so konkret formuliert sein, dass eine substantiierte Bestreitung überhaupt möglich sein kann. Der Gegenpartei muss es möglich sein können, den Gegenbeweis antreten zu können (BGE 127 III 365, E. 2b).

Die Bestreitung selber muss hingegen lediglich genügend konkret sein, damit der Behauptende zur ihm obliegenden Beweisführung veranlasst wird (BGE 115 II 1 E. 4). Wird eine rechtserhebliche Tatsache bestritten, wird die behauptende Partei gezwungen, diese umfassend und klar darzulegen, so dass darüber Beweis abgenommen werden kann (BGE 108 II 337 E. 3). Bei bestrittenen Behauptungen müssen die Parteien ihre Beweismittel selber vorlegen oder bezeichnen (Zivilprozessrecht, Walder/Grob, 2009, § 17 Rz. 10).

Beweisführungslast

Grundsatz

Jede Partei, die eine Tatsache behauptet, muss diese entweder durch Einreichung von verfügbaren Beweismitteln oder durch Beweisanträge beweisen. Unterbleibt der Beweis für eine behauptete Tatsache, so wird sie nicht beachtet. Obwohl das Gericht das Recht von Amtes wegen anwendet („iura novit curia“), ist es den Parteien zu empfehlen, prozessrelevante Rechtsfragen zu erörtern. Dies ist insb. bei der Verjährungsproblematik zu empfehlen, da die beklagte Partei die Verjährungseinrede geltend machen muss und nicht von Amtes wegen berücksichtigt werden darf (Zivilprozessrecht, Walder/Grob, 2009, § 17 Rz. 3 f.).

Gerichtliche Fragepflicht

Dem Gericht wird eine gesetzliche Fragepflicht aufgebürdet, falls die Vorbringen einer Partei unklar, widersprüchlich, unbestimmt oder offensichtlich unvollständig sind (Art. 56 ZPO). Das Gericht hat diesbezüglich mit entsprechenden Fragen die Gelegenheit zur Klarstellung oder Ergänzung zu geben. Der Umfang der richterlichen Fragepflicht hängt schlussendlich aber von der jeweiligen Prozessart ab. Sie darf aber nicht dazu führen, dass die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen stattfindet. (BSK ZPO, Gehri, 2013, Art. 55 N 7)

Gibt es an der Richtigkeit einer durch die Gegenpartei unbestrittenen Tatsache erhebliche Zweifel, so kann das Gericht den Beweis von Amtes wegen erheben (Art. 153 Abs. 2 ZPO).

Allgemein bekannte Tatsachen

Der Allgemeinheit bekannte Tatsachen (sog. notorische Tatsachen), dem Gericht allgemein bekannte Tatsachen (sog. gerichtsnotorische Tatsachen) sowie allgemeine Erfahrungssätze müssen weder behauptet noch bewiesen werden (Art. 151 ZPO). Das private Wissen einer Gerichtsperson gilt jedoch nicht als gerichtsnotorische Tatsache (Botschaft ZPO, 7311). Bei speziellen Erfahrungssätzen der Wissenschaft (bspw. Bremsweg) sollen die Parteien jedoch die Möglichkeit vom Gericht erhalten, Stellung nehmen zu können. Fehlt dem Gericht das notwendige Fachwissen, so hat sie ein Gutachten in Auftrag zu geben (Schweizer Zivilprozessrecht, Sutter-Somm, 2012, Rz 334).

Zugestandene Tatsachen

Was die gegnerische Partei ausdrücklich oder stillschweigend zugesteht, muss die behauptende Partei nicht mehr beweisen (Schweizerisches Zivilprozessrecht, Guldener, 1979, 160). Das führt dazu, dass das Gericht diese Tatsachen dem Urteil zugrunde legen muss, selbst wenn sie sich nicht zugetragen haben. Dies findet seine Grenzen, wenn das Gericht erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachen hat, da es dann selber Beweis erheben kann (Art. 153 Abs. 2 ZPO). 

Indizien

Als Indizien gelten Tatsachen, welche basierend auf Erfahrungswerten den Rückschluss auf eine andere beweisbedürftige Tatsache zulassen (Schweizer Zivilprozessrecht, Sutter-Somm, 2012, Rz 66). Diese indirekte Beweisführung ist dann notwendig, wenn die Haupttatsache nicht direkt beweisbar ist (bspw. böser Glaube). Indizien dürfen auch dann berücksichtigt, wenn sie nicht behauptet worden sind (Schweizerisches Zivilprozessrecht, Guldener, 1979, 162). 

Gesetzliche Tatsachenvermutungen

Öffentliche Register und öffentliche Urkunden sind Beispiele für gesetzliche Tatsachenvermutungen. Diese bringen vollen Beweis, solange die Unrichtigkeit des Inhalts nicht nachgewiesen wurde (Art. 179 ZPO). 

Grundsatz

Der Untersuchungsgrundsatz ist eine der Prozessmaximen. Sie stellt das Gegenstück zum Verhandlungsgrundsatz dar. Innerhalb dieser beiden Prozessmaximen stellt der Untersuchungsgrundsatz die Ausnahme dar (Zivilprozessrecht, Staehelin/Staehelin/Grolimund, 2013, § 10 Rz 24). Das Anwendungsgebiet liegt in den Fällen, in denen das öffentliche Interesse oder das Interesse von Dritten überwiegt oder in denen sozialpolitische Überlegungen überwiegen (keine Anwälte).

Behauptungslast und Substanziierungslast

Grundsatz

Es wird zwischen dem uneingeschränkten Untersuchungsgrundsatz und dem eingeschränkten Untersuchungsgrundsatz unterschieden.

Uneingeschränkter Untersuchungsgrundsatz

Beim uneingeschränkten Untersuchungsgrundsatz erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 296 ZPO). Das Gericht ist dabei unabhängig von Parteivorbringen oder von deren Beweiseingaben. Bei anwaltlicher Vertretung ist es hingegen zulässig, dass das Gericht auf die Behauptungen und Beweisanträge der rechtskundigen Partei abstellt (BSK ZPO, Gehri, 2013, Art. 55 N 18). Nur bei offensichtlichen Lücken oder Ungereimtheiten wird jedoch der Sachverhalt von Amtes wegen erforscht (Zivilprozessrecht, Staehelin/Staehelin/Grolimund, 2013, § 10 Rz 27).

Eingeschränkter Untersuchungsgrundsatz

Beim eingeschränkten Untersuchungsgrundsatz stellt das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen fest. Diese Sachverhaltsfeststellung wird durch entsprechende Fragen und Hinweise bei der Sachverhaltsermittlung durch die Parteien erzielt. Obwohl die Parteien nur eine Obliegenheit zur Mitwirkung trifft, kann sich eine Verweigerung zu ihrem Nachteil auswirken. 

Anwendungsbereich

Prozess Prozessmaximen

Schutz der ehelichen Gemeinschaft:

  • Festsetzung der Alimente an den Unterhalt der Familie
  • Vertretung der ehelichen Gemeinschaft
  • Regelung zum Getrenntleben
  • Lohnsperre
  • Beschränkung der Verfügungsbefugnis
eingeschränkter Untersuchungsgrundsatz

Scheidungsprozess:

  • Prüfung der Scheidungsvoraussetzungen
  • berufliche Vorsorge
  • vorsorgliche Massnahmen
eingeschränkter Untersuchungsgrundsatz

Scheidungsprozess:

  • Güterrechtliche Auseinandersetzung
  • Nachehelicher Unterhalt
Verhandlungsgrundsatz

Kinder:

  • bei einer Scheidung
  • Vaterschaftsprozesse
uneingeschränkter Untersuchungsgrundsatz
Verwandtenunterstützungspflicht Untersuchungsgrundsatz

Vereinfachtes Verfahren

beschränkter Untersuchungsgrundsatz

Summarisches Verfahren, wenn das Gericht als Konkurs- oder Nachlassgericht zu entscheiden hat oder bei Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

eingeschränkter Untersuchungsgrundsatz

Im Zivilprozess werden mehrere Prozessmaximen unterschieden. Der Dispositionsgrundsatz ist typisch für das ordentliche Verfahren und bedeutet, dass die Parteien über den Streitgegenstand bestimmen. Der Offizialgrundsatz stellt das Gegenteil dar, wobei hier das Gericht von den Anträgen der Parteien abweichen kann. Die Verhandlungsmaxime und der Untersuchungsgrundsatz behandeln die Thematik der Behauptungs-, Substanziierungs- und Bestreitungslast sowie der Beweislast. 

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