Abstimmung an einer Generalversammlung

Der Aktionär übt seine Mitgliedschaftsrechte in der GV aus (Art. 689 Abs. 1 OR). Dabei kann er seine Aktien entweder selbst vertreten oder sich durch einen Dritten vertreten lassen (Art. 689 Abs. 2 OR). Der Begriff Depotstimmrecht wird fälschlicherweise oft mit der ganzen institutionellen Stimmrechtsvertretung gleichgesetzt. Mit der Vergütungsverordnung wurde dieses Depotstimmrecht für börsenkotierte Aktiengesellschaften jedoch eingeschränkt. Eine Vorlage zur Revision des Aktienrechts sieht die Abschaffung der Organ- und der Depotvertretung auch bei nicht börsenkotierten Aktiengesellschaften vor.

Das schweizerische Aktienrecht ist sehr vertretungsfreundlich ausgestaltet. Will der Aktionär seine Mitgliedschaftsrechte an der GV nicht selbst ausüben, stehen ihm mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, um sich vertreten zu lassen:

  • Individuelle Stimmrechtsvertretung:
    • Vertretung durch einen anderen Aktionär;
    • Vertretung durch einen Dritten, sofern die Statuten dies nicht ausschliessen (Art. 689 Abs. 2 OR).
  • Institutionelle Stimmrechtsvertretung:
    • Vertretung durch ein Mitglied der Organe oder eine andere abhängige Person der AG (sog. „Organvertretung“; Art. 698c OR)
    • Vertretung durch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter (Art. 698c OR);
    • Vertretung durch Banken oder Vermögensverwalter, bei denen die Aktien hinterlegt sind (sog. „Depotvertretung/Depotstimmrecht“; Art. 689d OR).

Bei börsenkotierten Aktiengesellschaften sind seit dem 1. Januar 2014 die Organvertretung und das Depotstimmrecht nicht mehr zulässig (Art. 11 VegüV). Dies ist auf die Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV), welche im Rahmen der Minder-Initiative beschlossen wurde, zurückzuführen. Die institutionelle Stimmrechtsvertretung wurde auf den unabhängigen Stimmrechtsvertreter beschränkt. 

Grundsatz

Der Begriff Depotstimmrecht wird heute häufig mit der ganzen institutionellen Stimmrechtsvertretung (Organvertretung, unabhängige Stimmrechtsvertretung, Depotvertretung) gleichgesetzt. Dies ist nicht sachgerecht. Das Depotstimmrecht stellt eigentlich bloss einen Spezialfall dar, der voraussetzt, dass die AG Inhaberaktien ausgegeben hat, die in einem Bankdepot liegen, was bei Publikumsgesellschaften (vgl. Art. 727 Abs. 1 Ziff. 1 ORselten geworden ist.

Institutionelle Stimmrechtsvertretung

Die institutionelle Stimmrechtsvertretung läuft in der Regel über den Organvertreter und den unabhängigen Stimmrechtsvertreter. Da heute Namenaktien verbreiteter sind als Inhaberaktien, kennt die AG die (im Aktienbuch eingetragenen) Aktionäre und schickt diesen die Stimmrechtsunterlagen direkt zu. Will sich der Aktionär an der GV vertreten lassen, bevollmächtigt er entweder den von der AG vorgeschlagenen Organvertreter oder den unabhängigen Stimmrechtsvertreter. Die eigentliche Depotvertretung ist somit heute nur noch selten anzutreffen.

Depotvertreter

Wenn Banken oder gewerbsmässige Vermögensverwalter Aktien ihrer Hinterleger verwahren, besteht häufig ein Bedürfnis der Aktionäre, sich durch die Bank oder den Vermögensverwalter vertreten zu lassen. Dies ist nur unter gewissen Voraussetzungen zulässig.

Wollen Banken oder gewerbsmässige Vermögensverwalter die Stimmrechte (oder andere Mitwirkungsrechte) aus bei ihnen hinterlegten Aktien ausüben, müssen sie den Aktionär vor jeder GV fragen, wie sie stimmen sollen (Art. 689d Abs. 1 OR). Fehlt eine konkrete Weisung zu einem Traktandum, so sind allgemeine Weisungen des Aktionärs zu beachten. Wurde gar keine Weisung erteilt, so stimmt der Depotvertreter grundsätzlich im Sinne der Anträge des VR (Art. 689d Abs. 2 OR). Nur ganz ausnahmsweise darf oder muss der Depotvertreter von dieser Regelung abweichen, nämlich dann, wenn es dem Interesse des Hinterlegers und seinem mutmasslichen Willen entspricht.

Organvertreter/unabhängiger Stimmrechtsvertreter

Die AG kann ihren Aktionären ein Mitglied ihrer Organe oder eine andere abhängige Person als Vertreter vorschlagen. In diesem Fall muss die AG aber als Alternative eine unabhängige Person benennen, welche die Aktionäre mit ihrer Vertretung beauftragen können (sog. unabhängiger Stimmrechtsvertreter; Art. 689c ORArt. 8 f. VegüV). Dies drängt sich insbesondere dann auf, wenn der Aktionär gegen die Anträge des VR stimmen will und er den Organen der AG misstraut.

Auch der Organvertreter und der unabhängige Stimmrechtsvertreter haben Weisungen des Aktionärs einzuholen und zu befolgen (Art. 689b Abs. 1 OR). Unklar ist allerdings, wie und ob sie zu stimmen haben, wenn der Aktionär keine Weisung erteilt hat. Nur für den unabhängigen Stimmrechtsvertreter bei börsenkotierten Aktiengesellschaften besteht die Regelung, dass er sich in diesem Fall der Stimme zu enthalten hat (Art. 10 Abs. 2 VegüV).

Bekanntgabe

An der GV muss bekannt gegeben werden, wie viele Aktien von institutionellen Stimmrechtsvertretern vertreten werden (Art. 689e OR). Dadurch soll Transparenz hinsichtlich der Stimmenverhältnisse an der GV geschaffen werden.

Bedeutung

In Generalversammlungen von Publikumsgesellschaften (vgl. Art. 727 Abs. 1 Ziff. 1 OR) kommt den institutionellen Stimmrechtsvertretungen fast ausnahmslos die Mehrheit zu. Dies bedeutet, dass Abstimmungen und Wahlen in aller Regel schon vor der GV entschieden sind. 

Eine Vorlage zur Revision des Aktienrechts sieht die Abschaffung der Organ- und der Depotvertretung auch bei nicht börsenkotierten Aktiengesellschaften vor. Nur noch die unabhängige Stimmrechtsvertretung soll zulässig sein. Erhält dieser keine Weisungen, so soll er sich der Stimme zu enthalten

Die GV der Muster AG steht an. Der Aktionär Christian erhält sowohl von der Bank AG, die seine Aktien verwahrt, als auch von der Muster AG Post. Die Bank AG bietet ihm an, seine Aktien an der GV zu vertreten, und fragt, wie sie gegebenenfalls stimmen soll. Mangels Weisung kündet sie an, im Sinne der Anträge des VR zu stimmen. Die Muster AG offeriert Christian, dass Paul, ein Mitglied der Geschäftsleitung, seine Aktien an der GV vertritt. Gleichzeitig schlägt die Muster AG Peter als unabhängigen Stimmrechtsvertreter vor. Beide fragen wiederum, wie sie zu stimmen haben. An der GV muss die Muster AG bekannt geben, wie viele Aktien von institutionellen Stimmrechtsvertretern vertreten werden.

Der Aktionär muss seine Mitgliedschaftsrechte nicht persönlich ausüben. Er kann seine Aktien auch durch einen Dritten vertreten lassen. Hierbei stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen. So kann er einen Dritten bevollmächtigen. Dieser Dritte kann eine Person aus seinem persönlichen Umfeld sein. Gegebenenfalls schlägt die AG dem Aktionär ein Organ oder eine andere abhängige Person (sog. Organvertreter) als Vertreter vor. In diesem Fall muss sie aber gleichzeitig einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter benennen, den der Aktionär mit seiner Vertretung beauftragen kann. Ausserdem können die Banken oder die Vermögensverwalter, bei denen die Aktien hinterlegt sind (sog. Depotvertreter), dem Aktionär anbieten, seine Aktien zu vertreten (sog. Depotstimmrecht). An der GV muss bekannt gegeben werden, wie viele Aktien von Organ-, unabhängigen Stimmrechts- und Depotvertretern vertreten werden.

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Unser Autor

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